Sonntag, 22. Januar 2012

Noch einmal über "grüne Energie"

Ich verfolge die Debatte seit den frühen 1990er Jahren und bin immer noch nicht klüger geworden. In meinem Buch "Die nachhaltige Gesellschaft" (2001, Kapitel 4) habe ich gezeigt, wie unterschiedlich die Schätzungen der verschiedenen Forscher über die "Energierücklaufzeit" (auch "energetische Amortisationszeit" genannt) der Fotovoltaik-Technologie in den 1990er Jahren gewesen sind. Die Zahlenangaben stiegen stetig: von 1,2 Jahre (1991) bis 10 Jahre (1995), trotz aller technologischen Entwicklungen. Schwer zu erklären. Das heißt, es ist sehr schwierig, diesen Wert zu errechnen.
1996 schätzte der amerikanische Forscher Howard D. Odum (zitiert in Heinberg, 2004), die EROEI (energy return on energy invested, auf Deutsch: Verhältnis von gewonnener zu investierter Energie) von Windkraftanlagen sei 2. Das heißt für eine Einheit investierter Energie erntet man 2 Einheiten Energie. Das heißt, Nettoenergiegewinn in diesem Fall sei 1 Einheit. Jetzt höre ich von Georg Löser (in Greenhouse Infopool): "Die energetischen Amortisationszeiten [von Windkraftanlagen auf Land] liegen zwischen gut drei und sechs Monaten. Es ergeben sich daraus bei einer kalkulatorisch angesetzten Lebensdauer von 20 Jahren Erntefaktoren [EROEI] von etwa 70 für die große Anlage beziehungsweise 40 für die kleine."
Die Diskrepanzen sind so groß, dass man Zweifel haben muss. Offensichtlich gibt es keine Einigung unter Forschern über die Kalkulationsmethoden. Energiekosten (anders als Geldkosten) einer Energietechnologie von der Wiege bis zur Bahre zu errechnen, ist auch sehr schwierig. Die Kalkulation muss auf zu vielen unsicheren Annahmen beruhen. Die Gefahr ist nicht gering, dass der Forscher solche Annahmen macht, die das gewünschte Ergebnis produzieren. Oder er macht schlicht Fehler.
Einem interessierten Laien wie mir bleibt also nichts anderes übrig, als eine andere logische Denke anzuwenden: Wegen immer schwieriger werdender geographischer und geologischer Verhältnisse steigen die energetischen Extraktionskosten der meisten Rohstoffe – von Öl, Kohle, Gas und Uran, über die bekannten Industriemetalle bis zu den seltenen Erden (das ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass ihre Geldpreise sehr stark gestiegen sind und weiter steigen werden.) Mithilfe eben solcher Rohstoffe werden auch Fotovoltaik-Module und Windkraftanlagen gebaut. Das bedeutet, dass der notwendige Energieinput für deren Bau stetig steigt. Der durchschnittliche Energiegehalt von Sonnenschein und Wind bleibt aber unverändert. Unter diesen Bedingungen kann der Nettoenergiegewinn der genannten erneuerbaren Energietechnologien nicht sprunghaft steigen. Wahrscheinlicher ist, dass er eher sinkt. Es sei denn, dass Wunder geschieht, was eigentlich nie geschieht, obwohl kleine Fortschritte nicht auszuschließen sind.
James Lovelock, Vater der Gaia-Theorie, arbeitete an einem Projekt, das auf die Frage antworten wollte, ob es auf dem Mars Leben gibt. Er dachte: Es ist sehr schwierig, auf dem Mars zu landen und ein paar tausend Bodenproben zu sammeln. So stellte er sich die Frage, wie wäre die Marsatmosphäre, die leichter zu untersuchen ist, chemisch, wenn es da Leben gäbe. In ähnlicher Weise frage ich mich, wie wäre die finanzielle "Atmosphäre" der erneuerbaren Energietechnologien, wenn ihre Erntefaktoren tatsächlich ungefähr 40 bis 70 wären. Sie hätten längst alle konventionellen Energietechnologien vom Markt vertrieben. Denn nach Odum/Heinberg beträgt der Erntefaktor vom Öl aus dem Mittleren Osten nur 8,4, der von Kohle aus Wyoming 10,5, und der von terrestrischem Gas 10,3.
Statt den Markt rapide zu erobern, verlangen die erneuerbaren immer noch Subventionen in verschiedenen Formen. Wie soll man das überhaupt verstehen? Und warum gerät die Fotovoltaikindustrie in Panik, wenn die Regierung die Förderung etwas kürzen will? Und warum sind in den letzten Monaten drei große Solarenergiefirmen trotz aller Subventionen pleite gegangen (zwei in Deutschland, eine in den USA)? Der Fakt, dass die erneuerbaren Subventionen brauchen, ist ein Indiz dafür, dass sie zwar machbar, aber allein nicht lebensfähig sind – in dem Sinne, dass der Nettoenergiegewinn, wenn es den überhaupt gibt, zu gering ist, um damit die zweite Generation der Solar- und Windkraftwerke zu bauen, nachdem die Lebensdauer der ersten Generation ausgelaufen ist. Dann nutzt es nichts, dass sie beim Betrieb kein CO² ausstoßen.
Man muss verstehen, woher die Subventionen kommen. Sie kommen vom Gesamtertrag der ganzen Wirtschaft, die bekanntlich größtenteils von den konventionellen Energien, hauptsächlich von fossilen Brennstoffen, getrieben wird. Wie können erneuerbare Energietechnologien die Energietechnologien ersetzen, von denen sie leben? Sie sind Parasiten, die sterben würden, sobald der Wirt stirbt.
Eine andere Frage, die man aufwerfen muss, ist, warum das sonnen- und windreiche Indien, immer noch neue Kohle- und Atomkraftwerke bauen will. Für indische Ingenieure wäre es doch keine schwierige Aufgabe, jedes Jahr ein paar tausend Windkraftanlagen und kleine und große Solarkraftwerke zu bauen. Und warum exportieren die Chinesen lieber ihre Fotovoltaikmodule nach Europa und Amerika, statt mit ihnen ihren CO²-Ausstoß zu reduzieren?
Zugegeben, das sind alle Indizien, indirekte Argumente, keine Beweise. Aber ich muss diese Denkart anwenden, weil die Zahlen der Forscher unzuverlässig sind. Ich denke, der Disput wird in den nächsten zehn Jahren entschieden sein.

Montag, 16. Januar 2012

Optimismus zum neuen Jahr —
ausnahmsweise

Von jeher wünschen wir uns am Jahresende gegenseitig ein gutes neues Jahr, eines, das schön und erfolgreich sein soll. Bis vor vier Jahren war das ein realistischer Wunsch. Dann kam die große, nicht enden wollende, Angst einflößende Krise. Da gibt es nicht nur die vielseitige Weltwirtschaftskrise. Parallel dazu scheiterte eine UN-Klimakonferenz nach der anderen. Seitdem klingen solche Neujahrswünsche für viele unrealistisch, hohl, wie eben eine traditionelle Formalität. Überall herrscht eine pessimistische Grundstimmung. Sogar Frau Merkel sagte in ihrer diesmaligen Neujahrsansprache, das Jahr 2012 werde für die Deutschen schlechter sein als das vergangene Jahr.
Aber am Vorabend des neuen Jahres las ich in der SZ einen Text, der, was die Stimmung betrifft, total konträr zu der pessimistischen Grundstimmung steht. Er trägt auch den Titel "Optimismus". Das ist ein Gespräch mit dem erfolgreichen britischen Buchautor Matt Ridley, ein promovierter Zoologe, der in den 1980er Jahren der Wissenschaftsredakteur des renommierten britischen Wirtschaftsmagazins "The Economist" war.
Man sollte den Text schon lesen. Denn, wenn Ridley recht hat, dann haben wir Grund, entspannt auf die Zukunft zu blicken. Dabei ist Ridley kein einfacher, charakterlich unverbesserlicher Optimist. Er sagte: "Instinktiv bin ich genauso wenig Optimist wie die meisten. Es sind Zahlen, Daten, Fakten, Trends, die mich überzeugt haben." Es wäre wunderbar, wenn er recht hätte.
Seine Fakten scheinen auf den ersten Blick überzeugend zu sein: Er sagte: "Allein zu meinen Lebzeiten [er ist 53 Jahre alt] ist der Durchschnittserdenbürger … dreimal reicher geworden, dabei hat sich die Bevölkerung verdoppelt." "Der Durchschnitts-Chinese ist zehn Prozent reicher als vor einem Jahr, der Durchschnitts-Inder neun, der Durchschnitts-Afrikaner fünf"
Als ich diese Sätze las, war ich zunächst entsetzt. Wie kann ein ausgebildeter Naturwissenschaftler so was Plattes sagen? Aber man kann da wohl nichts anderes erwarten. Er hat schließlich seine politische Ökonomie bei "The Economist" gelernt, dem Sprachrohr des britischen Kapitals. Solche Leute haben gelernt, man soll das Bruttoinlandprodukt (BIP) und dessen Wachstumsraten anschauen. Basta! Das ist genug für sie.
Meine Kritik an solcher Begründung für Optimismus beruht nicht nur, aber auch auf der fragwürdigen Aussagekraft von Durchschnittszahlen. Der Durchschnitt von einem Millionär und einem armen Slumbewohner ist ein Mittelschichtbürger. Auch Ridley weiß um die Tücken von Durchschnittswerten und Pauschalbegriffen wie "reicher". Er sagte, wohl an die Menschen in reichen Ländern denkend: "Natürlich sehe ich auch, dass die Fettleibigkeit oder das Verkehrschaos oder auch psychische und geistige Erkrankungen schlimmer werden, …". Und er weiß auch, dass die Lage im größten Teil Afrikas sehr schlecht ist. Dennoch bleibt er bei seinem Optimismus: "Weite Teile Afrikas zeigen seit zehn Jahren phantastisches Wachstum. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass Afrika nicht schafft, was vierzig, fünfzig Jahre zuvor die asiatischen Schwellenländer geschafft haben. Ich bin überzeugt, dass in vierzig Jahren Durchschnittsafrikaner den Lebensstil haben wie Asiaten heute."
Ridleys Denkfehler Nummer 1: Im ganzen Gespräch ließ er weder das Wort "Ressourcen" noch das Wort "Knappheit" fallen. Reichtum, Wohlstand, Lebensstil – all das haben seinem Verständnis nach nichts zu tun mit Ressourcen. "Das Geheimnis menschlichen Wohlstands" ist seiner Meinung nach, dass "wir füreinander arbeiten", also globalisierter Freihandel. Als ob man überhaupt keine Ressourcen bräuchte. Es ist weit schlimmer als, was Prof. Beckerman – seinerzeit Leiter des Fachbereichs Ökonomik an der berühmten Universität von Oxford – 1995 schrieb. Er sah schon ein, dass für Wohlstandsproduktion Ressourcen notwendig sind. Aber er war überzeugt, dass die Ressourcen, die in der Erdkruste bis zu einer Tiefe von einer Meile vorhanden sind, für kontinuierliches Wirtschaftswachstum für die nächsten 100 Millionen Jahre genügen würden.
Ridleys Denkfehler Nummer 2: Er hat anscheinend bis jetzt keine Kritik an der Messgröße BIP gehört. Dabei haben wir in den letzten Jahren Studien vorgelegt bekommen, die sagen, dass das BIP wenig zu tun hat mit Wohlstand. Eine davon wurde sogar von Sarkozy in Auftrag gegeben. Zu den Autoren gehörten berühmte Ökonomen, darunter Nobelpreisträger Amartya Sen und Joseph Stiglitz.
Ridleys Denkfehler Nummer 3: Er kennt anscheinend nur Kurven, die linear nach oben gehen. In Afrika gab es in den letzten Jahren fünfprozentiges Wirtschaftswachstum. Also werden die Afrikaner in 40 Jahren den gleichen Lebensstandard genießen wie heute die Chinesen und die Inder. Er kennt offensichtlich keine Kurve, die nach einem Höhepunkt nach unten geht.
Und sein letzter Denkfehler: Er hat wohl nichts davon gehört, dass der Wert von Wirtschaftsleistungen, die entstandene Schäden kompensieren oder geleistet werden, um sich vor Schäden zu schützen, nicht zum BIP gehören sollte. Sie sind Kosten, kompensatorische und defensive Kosten. Dem chinesischen nationalen Statistikamt zufolge entsprachen die Kosten der ökologischen Zerstörung in China im Jahr 2004 3% des Bruttoinlandprodukts
Gibt es denn absolut keinen Grund für Optimismus? Wenn überhaupt begründet von Optimismus geredet werden darf, dann nicht in Kategorien von Wachstum des BIP, oder in Kategorien von nachholender Entwicklung, wobei diese faktisch nichts anderes bedeutet als rapides Wirtschaftswachstum im üblichen Sinne. Man kann aber schon ein bißchen optimistisch sein, wenn man sieht, dass heutzutage viele Menschen, wenn sie ihre Zukunftsvision darstellen, in ganz anderen Kategorien reden, in Kategorien von Bruttoinlandglück, solidarische Ökonomie, Gemeinwohlökonomie, Postwachstumsökonomie, gesunde Umwelt usw. Sie reden nicht vom Recht der Schwellenländer auf Entwicklung, wie neulich Sunita Narayan, eine angeblich führende Ökologin Indiens, forderte. Seit einiger Zeit greifen diese Konzeptionen um sich. Solche Gesellschaftsvisionen brauchen für ihre Verwirklichung keine unmögliche Rate von Wirtschaftswachstum. Sie brauchen eher Wirtschaftsschrumpfung, De-development, Decroissance, die sowieso geschieht oder geschehen wird, weil ja die Ressourcen, insbesondere die fossilen Energieressourcen, zur Neige gehen.