Donnerstag, 19. September 2013

Amerika wieder Entdecken

Neulich erntete ein vom Greenhouse Infopool verteilter Artikel [http://tinyurl.com/nk2lsrv] von Jan Willmroth einige lustige, aber auch misslaunige Bemerkungen. Der Artikel ist ein Bericht über eine Studie, der in „Down Under“ entstand, „wo die Menschen mit dem Kopf nach unten stehen“, also in Australien, wo alles in der Weltsprache Englisch geschrieben wird und nicht in der Provinzsprache Deutsch.
Der Artikel trägt den Titel „Verrechnet: Industrieländer schaden der Umwelt viel mehr als gedacht“. Da lesen wir, dass Tommy Wiedmann, ein australischer Ökonom und Nachhaltigkeitsforscher, und seine Kollegen „ein drastisches Urteil über die Folgen des Wirtschaftswachstums in entwickelten Ländern“ gefällt haben; sie hätten mit großem Forschungssaufwand nachgewiesen, dass die Welt viel mehr Ressourcen verbrauche, als Regierungen und Organisationen wie die UN vorrechneten. Daraus müsse man schlussfolgern, dass die in entwickelten Industrieländern gerne behauptete „relative Entkopplung“ von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch in Wirklichkeit nicht stattfinde. Wiedmann und Kollegen führen dieses Verrechnen darauf zurück, dass die Menge an Rohstoffen, die für Förderung und Transport benötigt werden, nicht in die Arbeit der Entdecker der Entkopplung einfließen. Wenn man diese mit berechne, dann komme man auf die richtige Größe, die sie den „materiellen Fußabdruck“ nennen. Der Begriff ähnelt dem des CO2-Fußabdrucks.
All diese Erkenntnisse sind nichts Neues. Nach der Lektüre des Artikels schrieb Roland Schnell: „Schon seltsam. Wenn ein Forscher aus Down-Under so etwas publiziert, dann springen die Medien an. Dabei ist diese Banalität schon seit den 1980er Jahren in Deutschland bekannt.“ Ich möchte hinzufügen, dass sie sogar in Down-Under, in dem gesamten englischsprachigen Raum, bekannt sein müsste. Zum Beispiel schrieben schon die Autoren des berühmten Brundtland-Berichts (1987), dessen Original in Englisch erschien: „Doch auch die industriell am fortgeschrittensten Wirtschaften brauchen nach wie vor eine kontinuierliche Versorgung mit Grundfertigwaren. Ob diese im Inland hergestellt oder importiert werden, ihre Produktion wird weiterhin große Mengen Rohstoffe und Energie erfordern.“ Schnell schreibt resigniert: „Aber da der Prophet im eigenen Land nichts gilt, bleibt nichts anderes übrig, als die Arbeit von Wiedmann als Erkenntnis aus dem englischen Sprachraum zu verbreiten.“
Auch der Begriff „materieller Fußabdruck“ ist nichts Neues. In der Provinzsprache Deutsch ist er längst bekannt als „Materialintensität pro Dienstleistungseinheit“, Abkürzung MIPS (Material Intensity Per Service-Unit). Der Erfinder dieses Begriffs ist Prof. Friedrich Schmidt-Bleek, ehemaliger stellvertretender Direktor des Wuppertal-Instituts. Er meldete sich auch zum Wort. Er schrieb: „Das ist ja ein Ding! Wer immer diese Zeilen über Down Under und die Neuigkeiten von dort geschrieben hat [er meinte Roland Schnell], kennt offenbar die Arbeiten in Deutschland und anderen Ländern in Europa sowie in Japan nicht so sehr, und dem Mann mit dem Kopf nach unten sind sie wohl auch nicht bekannt.“
Was die Menge an Rohstoffen inklusive der Energiestoffe betrifft, die für Förderung und Transport von Rohstoffen benötigt werden, muss man sagen, dass sie alle im Begriff MIPS inbegriffen sind. In seinem Aufsatz Die Ressourcen der Ökonomie berücksichtigte Volker Schneiders schon 1984 sogar „die exponentiell wachsende Gesteinsmenge …, die zerkleinert, transportiert, verarbeitet, eingeschmolzen und auf Abraumhalden geschafft werden muss.“
Da sich, spätestens jetzt, herausgestellt hat, dass die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch eine unwahre Geschichte ist, müsste man meinen, dass nachhaltiges Wachstum eine Illusion ist. Aber die Grünen sowie allerlei Ökos klammern sich immer noch fest daran. Das war auch in den 80er und 90er Jahren so. An nachhaltiges Wachstum glaubte erstaunlicherweise sogar Prof. Schmidt-Bleek, der in den 90er Jahren forderte, dass der Ressourcenverbrauch der Umwelt zuliebe um einen Faktor 10 reduziert werden müsse. 1999 sagte er in einem Zeitungsinterview: „Wir haben Lust auf Wachstum. … Ökologie muss nicht wachstumsfeindlich sein.“ (Was seine heutige Position ist, weiß ich nicht.) Zwei Jahre zuvor, d.h. 1997, hatte Fred Luks nachgewiesen, wenn der Ressourcenverbrauch in den Industriegesellschaften in den nächsten 50 Jahren um einen Faktor 10 sinken soll und wenn gleichzeitig die Wirtschaft weiter um zwei Prozent pro Jahr wachsen soll, dann muss die Ressourcenproduktivität um einen Faktor 27 ansteigen. Wiedmanns Studie zeigt, dass in den letzten 16 Jahren in Sachen Ressourcenproduktivität kein Fortschritt gemacht werden konnte.
Das sollte eigentlich niemand wundern, der den Kapitalismus auch nur oberflächlich verstanden hat. Makroökonomisch gesehen, funktioniert er wie eine Maschine, die mit Hilfe von Energie und Arbeitskraft Rohstoffe zu Gütern und Dienstleistungen veredelt. Wenn Rohstoffverbrauch insgesamt zurückgehen muss, kann die gesamtwirtschaftliche Leistung (??) nicht steigen. Denn dann haben die Kapitalisten, die Arbeiter und die Maschinen weniger zu tun.
Nachdem die Wikinger – heute heißen sie Norweger – Amerika entdeckt hatten, vergaßen sie ihre Entdeckung total. Darum musste Columbus Amerika wieder entdecken. Wie die Menschen in der Zeit von Kolumbus, aber im umgekehrten Sinne, sehe ich darin einen Hoffnungsschimmer, dass viele junge Leute in Deutschland nach vierzig Jahre langer Vergessenheit die Grenzen des Wachstums wieder entdeckt haben. Sogar die Attac-Bewegung hat eine Postwachstumsökonomie auf ihre Fahne geschrieben. Ich hoffe, dass sich die jungen Leute von heute eine echt nachhaltige Ökonomie vorstellen können.