Ein Zeitungsartikel von Daley & Kulish (2013) unter der
Überschrift „Deutschland: Zu wenig Menschen?“ erweckte in mir verschiedene
Gedanken und alte Erinnerungen:
Eins der
ernstesten Probleme der Erdbevölkerung, das Problem der Übervölkerung, ist auch
das am leichtesten zu verstehende. Schon im Alter von etwa 9 Jahren wurde mir
zum ersten Mal das Problem des exponentiellen Bevölkerungswachstums bewusst. Es
kam mir in den Sinn: Meine Eltern waren nur zwei Personen, und sie zeugten 6
Kinder, sodass unsere Familie in 12 Jahren auf 8 Personen anwuchs. Mir schien,
das konnte nicht so weitergehen. Das Einkommen meines Vaters war schließlich
begrenzt. Ich erzählte meinem nur eineinhalb Jahre älteren Bruder von meiner
Sorge. Er sagte: „Du redest Unsinn.“ Wir standen an einem Teichufer, als ich
mit dem Gespräch anfing. „Schau dir den Teich an“, sagte mein Bruder, “Wenn es
regnet, fallen da hunderttausende von Regentropfen hinein. Und was geschieht?
Nichts!“ Er hat Recht, dachte ich, obwohl ich nicht ganz zufrieden war.
Damals konnte ich
das Thema nicht weiterverfolgen, aber ich vergaß das Gespräch nie. Als
erwachsener Mensch lernte ich später in der Hochschule die Bevölkerungstheorie
von Malthus kennen. Unser Dozent in politischer Ökonomie kritisierte sie. Ein
Mensch, sagte er, komme nicht nur mit einem Magen zur Welt, sondern auch mit
zwei Händen. Er könne produzieren, was er benötige. Rückblickend glaube ich,
mein zehn Jahre alter Bruder hatte das Problem eigentlich besser verstanden als
unser Dozent. In der Tat passiert in einem bengalischen Teich nie etwas Besonderes.
Wegen der Verdunstung sinkt der Wasserspiegel im Sommer. Doch in der folgenden
Regenzeit füllt viel Wasser den Teich wieder auf. Es gibt da immer Wasser. Mein
Bruder hatte intuitiv das Prinzip des steady state verstanden, und zwar das eines
dynamischen, d.h. zyklischen steady state.
Hingegen erinnerte
mich das Bild eines mit zwei Händen geborenen Menschen an ein erschreckendes, aber
happy-end Märchen, das ich als Kind gelesen hatte: Ein Dämon hatte ein Dorf
heimgesucht. Er sagte, er werde alles zerstören. Die Dorfbewohner
verzweifelten. Da ging ein kleines Mädchen zu dem Dämon und flehte ihn an zu
verschonen, was noch stand. Der Dämon sagte, er würde ihrer Bitte nachgeben,
aber nur unter der Bedingung, dass sie ihm fortwährend genug Arbeit geben würde.
Anderenfalls müsse er seine Zerstörungsarbeit wieder aufnehmen, da er nie
aufhören könne zu arbeiten. Der Deal wurde gemacht. Der Dämon hörte mit der
Zerstörung auf, und das Mädchen gab ihm eine sinnvolle Arbeit nach der anderen:
ein gutes Haus für jede Familie im Dorf bauen, ein gutes Schulgebäude bauen, eine
gute Straße, gute Möbel für jedermann etc. etc. Der Dämon tat all dies. Aber
bald gingen dem Mädchen die guten Ideen aus. Es drohte die Gefahr, dass der Dämon
wieder mit der Zerstörung begänne. Dann hatte das Mädchen eine Idee. Sie gab
dem Dämon eins ihrer lockigen Haare und forderte ihn auf, es zu glätten. Der Dämon
sagte, das sei zu wenig Arbeit für ihn. Aber das Mädchen bestand darauf. Der Dämon
begann mit der Arbeit. Er zog das Haar und drückte es zwischen seinen Fingern,
immer wieder, aber ohne Erfolg. Das Haar wollte nicht glatt werden. So wurde
der Dämon für immer beschäftigt. Das Dorf war gerettet.
Das heutige
Problem der deutschen Wirtschaft ähnelt sehr dem des Märchendorfes. Meine
kindliche Sorge wegen unseres Familienwachstums entsprach im Kleinen unserer
heutigen Sorge um die wachsende Weltbevölkerung. Und mit seinem Gleichnis von
dem Teich, in dem sich eigentlich nichts ändert außer dem Wasserstand, nahm
mein Bruder das Steady-state-Ideal der Ökologen vorweg. Nur dass weder mein
Bruder noch ich vor 68 Jahren wussten, dass es Phänomene gibt wie sintflutartigen
Regen, gefolgt von verheerenden Überschwemmungen, sowie auch jahrelange Dürren
wegen kümmerlicher Niederschläge.
Zu wenige Menschen
Über die Jahrzehnte hat das akkumulierte Industriekapital
Deutschlands eine dämonische Größe erreicht. Der Dämon will ständig arbeiten, irgendetwas
tun – ob Konstruktives oder Destruktives, spielt keine Rolle. Es ist egal, ob
ein Haus gebaut oder abgerissen wird, die ausführenden Firmen machen Gewinn. Am
unerträglichsten ist es, wenn Maschinen stillstehen. Allerdings braucht dieser
Dämon noch Arbeiter, trotz allen Fortschritts in der Arbeitsproduktivität. Und
hierbei ist ein ernstes, beängstigendes Problem entstanden: Deutsche Frauen
bringen zu wenige Kinder zur Welt. Die Kinder von heute sind ja die Arbeiter
von morgen.
Es ist die eine
Art demographische Krise, die die meisten Menschen schwer verstehen. Hören wir
nicht schon seit Jahrzehnten, dass die Welt übervölkert ist? Versuchen nicht
seit langem die Regierungen vieler Länder, die Geburtenrate zu senken? Hat uns
nicht der erste Bericht an den Club of Rom (Meadows et al 1972) vor den
unliebsamen Folgen der Begrüßung hoher Geburtenzahlen gewarnt?
Wenn das Problem
nur darin läge, Arbeitskräfte zu finden, wäre es leicht zu lösen. Arbeitskräfte
können aus vielen Ländern importiert werden – aus Ländern, in denen es einen
Überfluss an jungen Menschen gibt, die nach Arbeit schreien. In der Tat haben
in den 1960ern Deutschland und die meisten anderen Industriestaaten Europas auf
diese Weise ihren Arbeitskräftemangel behoben. Aber bald bemerkten sie
bestürzt, dass diese einfache Lösung einen bitteren Nachgeschmack hatte. Sie
wollten Arbeiter importieren, doch es kamen Menschen. Menschen können Arbeit
liefern, aber sie können auch zum Ärgernis werden. Die importierten Arbeiter
ließen sich dort nieder, wo ihre neuen guten Arbeitsplätze waren; später
folgten ihre Frauen und Kinder. Die erwachsenen Kinder heirateten und zeugten Kinder.
Die Regierungen und die Einheimischen der Gastgeberländer, jedenfalls die
meisten, missbilligten diese Entwicklung. Sie hätten eine Regelung vorgezogen,
nach der die importierten Arbeitskräfte jeweils neun Monate arbeiteten, dann für
drei Monate nach Hause gingen, wieder neun Monate arbeiteten und so weiter.
Anfangs war das die Regelung in der Schweiz. Aber die Wirtschaftsbosse waren
dagegen, und, natürlich, ihr Wille geschah. Bald gab es zu viele von diesen
Einwanderern.
Als Mitte der
1970er infolge der ersten Ölkrise in den Industriestaaten Europas eine Rezession
einsetzte, versuchten die Gastländer, so viele Gastarbeiter loszuwerden wie
möglich. In Westdeutschland, wo die allermeisten Gastarbeiter Türken waren, bot
ihnen Kanzler Kohl eine Prämie für eine freiwillige Rückkehr an, aber ohne
Erfolg.
Was den christlichen
Ländern Europas die meisten Sorgen machte, war der islamische Glaube der
meisten Gastarbeiter. Als Kanzler Kohl in den 1980ern das erwähnte Angebot
machte, sagte er in einem Gespräch mit Margaret Thatcher, der Grund für seine
Initiative sei die ganz andere Kultur der Türken, die eine Integration sehr
erschwerte.
Schon in den
frühen 1980ern konnte ich in Deutschland Fremdenfeindlichkeit beobachten. Man
las Graffiti wie „Türken in die Türkei“, „Türken raus“. Schwarze und andere dunkelhäutige
Menschen wurden oft auf der Straße angegriffen. Zwei von Türken bewohnte Häuser
wurden in Brand gesteckt. Bei solchen Angriffen kamen mehrere Personen ums
Leben. In den 1990ern griffen Neo-Nazis Ausländer aus allen armen Ländern an,
einschließlich einiger aus Polen. Ihr Slogan: „Deutschland den Deutschen,
Ausländer raus“. Ähnliche fremdenfeindliche Vorfälle ereignen sich seither in
fast allen europäischen Ländern. In einigen Ländern, wie z.B. in Belgien und
den Niederlanden, gibt es die Furcht, die Einheimischen würden bald zur
Minderheit im eigenen Land. Asylgesetze sind verschärft worden. Nach der
Zerstörung des World Trade Center in New York am 11.9.2001 wurde es noch
schlimmer.
Was ich mit alledem
sagen will, ist, dass Deutschlands Arbeitskräftemangel nicht mehr so leicht
durch Import von Arbeitern aus armen Ländern zu beheben ist. Die Regierung ist
durchaus willig, hochqualifizierte Arbeiter einwandern zu lassen, für eine
begrenzte Zeit. Doch die Hunderttausende junger und ungelernter Ausländer, die
hierher (oder in ein anderes reiches Land Europas) kommen wollen, um zu
arbeiten und Geld zu verdienen, bekommen weder Visum noch Asyl. Deutschland sei
kein Einwanderungsland, wird behauptet. Doch die wirklichen Gründe dafür sind
andere: Erstens gibt es die Furcht, von Ausländern überschwemmt zu werden. Und
zweitens existiert auch die Angst vor Ärger mit ausländerfeindlichem Pöbel.
Für Deutschlands
Führung gibt es nur drei mögliche Lösungen dieses dringenden Problems: (1) Alle
erwerbslosen Menschen aus den krisengeschüttelten Ländern Europas – Griechenland,
Spanien, Portugal, Italien Polen, Rumänien, Bulgarien etc. nach Deutschland kommen
lassen, sie nötigenfalls etwas ausbilden, sodann arbeiten lassen. Das ist nach
den EU-Verträgen schon weitgehend möglich; (2) deutsche Frauen irgendwie dazu
bewegen, mehr Kinder zu kriegen; (3) eine stagnierende Wirtschaft hinnehmen.
Die erste Lösung
setzt die Annahme voraus, dass die besagten krisengeschüttelten Länder sich
niemals von Rezession und Stagnation erholen und deshalb zukünftig die Arbeit
etwa der Hälfte ihrer Jugend nicht brauchen werden. Nach der vorherrschenden Wirtschaftsideologie
ist dies schwer anzunehmen. Jeder hofft, die Krise wird bald vorbei sein. Überdies
kann die deutsche Wirtschaft einfach nicht so vielen erwerbslosen Süd- und
Osteuropäern Beschäftigungschancen anbieten, selbst wenn sie bereit sind, ausgebildet
zu werden. Zwar arbeiten viele osteuropäische Frauen mittleren Alters als
gelernte oder ungelernte Niedriglohn-Pflegerinnen für die rapide wachsende Zahl
hoch-betagter Deutscher. Kürzlich kamen sogar junge Chinesinnen nach
Deutschland, um diese Tätigkeit auszuüben. Aber bald werden auch die
Bevölkerungen Europas und Chinas altern. In diesem Zusammenhang nennen Daley
und Kulish Lettland und Bulgarien, deren Bevölkerungszahlen schneller abnehmen
als die Deutschlands. Was energische junge Leute betrifft, so fühlen sich viele
Portugiesen, Spanier und Italiener mit Qualifikation, Geschick und unternehmerische
Fähigkeiten, die in heutigen Industrien gebraucht werden, gezwungen auszuwandern
oder zurückzukehren in lateinamerikanische Länder; die Portugiesen sogar nach Angola
und Mosambik. Die anderen, Leute ohne hinreichende Qualifikation oder Geschick,
leben lieber von nationalen Sozialleistungen und wohnen im Hotel Mama, statt
ihr Glück in Deutschland zu versuchen. Denn sogar deutsche Arbeiter auf
vergleichbaren Stufen der Arbeiterhierarchie können nicht von ihren niedrigen
Löhnen leben und müssen deshalb zusätzliche Sozialleistungen beantragen.
Die zweite Lösungsidee hat wenig Aussicht auf
Erfolg. Moderne Lebensverhältnisse und Emanzipation haben gewirkt, dass Kinderwunsch
zurückgegangen ist. Auch der herrschende neoliberale Kapitalismus erschwert die
Vereinbarkeit von Mutterschaft und Vollzeitberuf, weil er massiv die Kraft
aller Arbeitnehmer, besonders der weiblichen, aufzehrt. Und viele von den Frauen,
die ein Kind wollen, finden einfach keinen Mann, der bereit ist, eine Familie
mit ihnen zu gründen. Der völlige Mangel an Arbeitsplatzsicherheit unterminiert
die Verantwortungsbereitschaft von Männern. Ein sehr großer Teil der deutschen
Mütter sind alleinerziehende. Im Vergleich zum restlichen Europa, das in einer
schier endlosen Wirtschaftskrise steckt, ist Deutschland eine Insel des
Wohlstands und geringer Erwerbslosigkeit. Leicht vorzustellen ist deshalb, wie
schwer es in den anderen Ländern ist, sich für eine Familiengründung und zwei
oder drei Kinder zu entscheiden.
Die dritte Lösung,
also eine stagnierende Wirtschaft hinnehmen, ist für die meisten Menschen
unmöglich – nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Leider ist
sie jedoch die einzig realistische, ich glaube sogar unvermeidliche, Lösung der
demographischen Krise der hier besprochenen Art. In reichen entwickelten Ländern,
wo der demographische Übergang schon stattgefunden hat, – in Deutschland war
das 1972 –, ist ein erneutes Bevölkerungswachstum unwahrscheinlich. Die von Daley
und Kulish zitierten Statistiken zeigen
einen Bevölkerungsrückgang, der andauern wird – bei gleichzeitiger Alterung.
Zwar mag ein Schrumpfen zu verhindern sein – durch erwünschte und/oder
unerwünschte Zuwanderung aus übervölkerten Ländern. Aber wegen der Angst, von
armen schwarzen, braunen und gelben oder islamischen Fremden überschwemmt zu
werden, und wegen der Angst, dass das Land seine weiß-christliche Identität
verlieren könnte, werden zur Verhinderung von Einwanderung immer strengere
Gesetze und Regeln in Kraft treten. Die USA bauen immer längere und höhere
Mauern entlang der mexikanischen Grenze; Ceuta und Melilla (zwei spanische
Exklaven in Marokko) werden von zwei Reihen hoher Stacheldrahtzäune geschützt.
Das Argument ist überzeugend,
dass für die reichen Industrieländer eine stagnierende, besser noch eine
schrumpfende, Wirtschaft eine gute Lösung ihrer demographischen Krise sei, weil
sie gleichzeitig ein Beitrag zur Entschärfung der globalen ökologischen und
Ressourcenkrise wäre. Also sollte die Wirtschaft absichtlich heruntergefahren
werden – sofern das nicht schon durch die gegenwärtige Wirtschaftskrise
geschieht, um sie der demographischen Realität anzupassen. Die weißen
europäischen Völker, die die genannte demographische Krise erleben, werden
nicht aussterben. Ihre Frauen, auch wenn sie modern und emanzipiert sind,
wollen Kinder – im Durchschnitt zwei –, wie die Beispiele Frankreichs und
einiger skandinavischer Länder zeigen. An irgendeinem Punkt des gegenwärtig
andauernden Rückgangs wird die Geburtenrate wieder steigen – wahrscheinlich mit
der Ausbildung eines humaneren Gesellschaftssystems, also eines ökosozialistischen,
und einer arbeitsintensiver Wirtschaft, nachdem das Ressourcenproblem zu einem
Knirschen im System geführt hat. Dies wird zu einer steady-state Bevölkerung
führen. Deshalb brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.
Zu viele Menschen
Es gibt aber Gründe, sich wegen der demographischen Krise in
den weniger entwickelten Ländern Sorgen zu machen, die eine Krise entgegengesetzter
Art ist. In vielen dieser Länder platzt die Bevölkerung aus allen Nähten. Zu
viele junge Leute suchen verzweifelt eine Arbeit, und zu wenige Arbeitsplätze
können neu geschaffen werden. Indiens Bevölkerung, jetzt schon über 1,2
Milliarden, wächst jedes Jahr um 18 Millionen. Der Premierminister sagt,
Indiens Wirtschaft müsse jedes Jahr 8 bis 10 Millionen neue Arbeitsplätze
schaffen, um die jungen Leute ins Arbeitsleben zu integrieren. Eine Zeitlang, als
die indische Wirtschaft mit jährlich 8 bis 9 % Wirtschaftswachstum boomte,
begrüßten die Wirtschaftsführer das Bevölkerungswachstum als eine garantierte
Quelle von billigen Arbeitskräften. Sie nannten es sogar Indiens
„demographische Dividende“. Doch trotz dieser „Dividende“ fällt seit einiger Zeit
die Wachstumsrate der indischen Wirtschaft. Der unerbittlichen Logik der Grenzen
des Wachstums kann schließlich nicht getrotzt werden.
Aus den oben
genannten Gründen setzen hoch entwickelte Industrieländer alles daran,
massenhafte Einwanderung billiger überschüssiger Arbeitskräfte aus weniger
entwickelten Ländern zu unterbinden. Sogar das riesige, rohstoffreiche
Russland, dessen Bevölkerung ebenfalls schrumpft, schottet sich gegen
Arbeitskräfte aus Zentralasien ab. Darum gibt es auch für die übervölkerten
weniger entwickelten Länder keinen einfachen Ausweg aus ihrer demographischen
Krise. Wenn sie nicht zusehen wollen, wie ihre Bürger im Mittelmeer oder im
Indischen Ozean vor der australischen Küste ertrinken, müssen sie spätestens
jetzt ernsthaft beginnen, an der Schrumpfung ihrer Bevölkerung zu arbeiten.
Der Faktor Umwelt
Nun besteht das Problem nicht einfach darin, Arbeitsplätze
für immer mehr junge Leute zu schaffen. Auch die Umwelt muss vor weiterer
Schädigung bewahrt werden – nicht nur die globale und regionale Umwelt, für die
die reichen 20% der Welt mehr tun müssen als die anderen, sondern auch die Umwelt
jeden einzelnen Landes, deren Schutz die Aufgabe von Volk und Regierung des
betreffenden Landes ist. Die Wurzeln vieler heutiger politischer Unruhen in der
Welt können größtenteils auf die zwei zusammenhängenden Probleme zurückverfolgt
werden. Je mehr nämlich die Bevölkerung wächst, desto mehr wird die Umwelt
geschädigt, und je mehr die Umwelt geschädigt wird, desto weniger kann sie der Bevölkerung
die Grundlage ihres Lebensunterhalts bieten.
Nehmen wir zum
Beispiel Ägypten. 1979 zählte seine Bevölkerung 40 Millionen; 2011, als der
Aufstand gegen die Regierung Mubarak stattfand, waren es 85 Millionen. Über die
Lage der Umwelt in Ägypten lesen wir: „Bodenverdichtung und steigender
Meeresspiegel haben bereits zum Eindringen von Salzwasser in das Nildelta
geführt; Überfischung und Überentwicklung bedrohen das Ökosystem des Roten
Meeres; unregulierte und unnachhaltige Landwirtschaftspraktiken in ärmeren Gegenden
sowie mehr extreme Temperaturen verstärken Bodenerosion und Wüstenbildung. Die
Weltbank schätzt, dass Umweltschäden Ägypten jährlich 5% des BIP kosten.“ (Friedman
2013A)
Nehmen wir ferner als Beispiel den Iran, wo 2009 die Jugend der
Mittelschicht gegen das Regime revoltierte. 1979, als dort die islamische
Republik gegründet wurde, hatte das Land 37 Millionen Einwohner, gegenwärtig
sind es 75 Millionen. Was aber für die Zukunft des Landes noch gefährlicher
ist, ist die Verschlechterung der Lage der Umwelt. Der frühere
Landwirtschaftsminister des Landes Issa Kalantari sagte kürzlich:
„Unser bedrohliches Hauptproblem –
gefährlicher als Israel, Amerika oder politische Kämpfe – sind die Frage des
Lebens im Iran.“…“Es besteht darin, dass die iranische Hochebene unbewohnbar wird. … Die Grundwassermenge hat abgenommen, und
eine negative Wasserbilanz ist weitverbreitet. … Ich mache mir große Sorgen um
die nächsten Generationen. … Wenn diese schlechte Situation nicht behoben wird,
wird der Iran in 30 Jahren zu einer Geisterstätte. … Alle natürlichen Wasservorkommen
im Iran trocknen aus, … Wüsten breiten sich aus. … Die Menschen werden
fortziehen müssen. Aber wohin? Ich kann ohne weiteres sagen, dass von den 75
Millionen Einwohnern Irans 45 Millionen unsicheren
Lebensumständen entgegengehen.“ (Zit. nach Friedman 2013A)
Auch der gegenwärtige Bürgerkrieg in Syrien
wurde zum Teil verursacht durch das Zusammentreffen von Bevölkerungswachstum, der
sich verschlechternden Lage der Umwelt und einer schlechten Wirtschaftspolitik.
Syriens Bevölkerung wuchs von 8,7 Millionen im Jahre 1980 auf gegenwärtig etwa 23
Millionen. Der Missmut der Bevölkerung begann mit einer Dürre, die bald zur Haupttriebkraft
der Erhebung gegen das Regime wurde. Ein amerikanischer Journalist, Thomas
Friedman, umschrieb folgendermaßen, was ihm ein syrischer Ökonom erzählt hatte:
„Die Dürre hat Syriens
Bürgerkrieg nicht verursacht, sagte der syrische Ökonom Samir Aita, aber, fügte
er hinzu, das Versagen der Regierung, der Dürre angemessen zu begegnen, spielte
eine enorm große Rolle, den Aufstand anzuheizen. Was geschah, Aita erklärte, war,
dass Assad nach seiner Machtübernahme im Jahre 2000 den bis dahin regulierten
Agrarsektor in Syrien für Großbauern öffnete, von denen viele Spießgesellen der
Regierenden waren. Sie kauften viel Land auf und pumpten soviel Wasser hoch,
wie sie wollten, bis schließlich der Grundwasserspiegel stark sank. Das führte
zur Vertreibung von Kleinbauern in die Städte, wo sie nach Arbeit herumsuchen
mussten.“
Friedman kommentierte„In einer Ära des Klimawandels werden
wir wohl viele weitere Konflikte dieser Art erleben.“ (Friedman 2013 B)
Widerstände gegen
Geburtenkontrolle
Seit Jahrzehnten gibt es zu viele Widerstände gegen alle
politischen und sonstigen Maßnahmen, das Bevölkerungswachstum zu stoppen oder
wenigstens unter Kontrolle zu bringen. Sie kommen vor allem von traditionellen
Linken (Kommunisten, Sozialisten), den Dritte-Welt-Solidaritätsgruppen,
Konservativen, Nationalisten, Feministinnen und tief religiösen Leuten. Oft
repräsentiert dieselbe Person zwei oder mehr von diesen Gruppen. Zunächst
möchte ich die Argumente und Standpunkte dieser Leute zusammenfassen:
(1) Einer von
ihnen, ein Dokumentarfilmer aus Österreich, der jüngst einen Film gedreht hat,
in dem die Idee der Bevölkerungskontrolle rundum verdammt wird, sagte kürzlich:
„Wenn man die gesamte Weltbevölkerung auf dem Gebiet Österreichs unterbringen
würde, hätte jeder Weltbürger 11 qm zur Verfügung. Der Rest der Erde wäre dann
leer“ (Zit. Nach Weitlanger 2013). Vor einigen Jahren hatte ein Vertreter des
Vatikan bei einer Konferenz Ähnliches gesagt: Die gesamte damalige
Weltbevölkerung könnte problemlos im Bundesstaat Texas der USA, leben.
(2) Es gibt keinen
Grund zur Sorge; erstens, weil sich die Weltbevölkerung bald stabilisieren wird,
und zweitens, weil es genug Nahrungsmittel in der Welt gibt. Zudem kann die
Lebensmittelproduktion um das Mehrfache des gegenwärtigen Niveaus gesteigert
werden.
(3) Was als
Übervölkerungsproblem erscheint, ist in Wahrheit ein Verteilungsproblem. Wenn
der Reichtum und die Ressourcen der Welt fair verteilt würden, gäbe es
nirgendwo Armut. Es gibt nicht nur genug Nahrung in der Welt, sondern auch
genug von den anderen nötigen Ressourcen.
(4) Die reichen
Industrieländer mit nur 20% der Weltbevölkerung verbrauchen 80% der Ressourcen
der Welt, von denen also nur 20% für den Rest der Weltbevölkerung bleiben, also
für die 80%. Die besagten 20% der Weltbevölkerung verursachen auch 80% der
weltweiten Verschmutzung und ökologischen Schädigung.
(5) Die Diskussion
über die Übervölkerung ist nur ein Horrorszenario, ein Manöver der herrschenden
Klassen der Welt, um die Aufmerksamkeit der Menschen abzulenken von den wahren Ursachen
der Armut, der Ressourcenkrise, der globalen Erwärmung, der Umweltverschmutzung
usw. Betsy Hartman, eine prominente Kritikerin des Übervölkerungsdiskurses,
soll gesagt haben, nicht von ungefähr werde das Thema der sieben Milliarden
Weltbevölkerung ausgerechnet jetzt diskutiert, wo die Menschen endlich
politisch aktiv würden und ihre Aufmerksamkeit auf die ungerechte Verteilung und
das Chaos auf dem Finanzmarkt richteten (Vergl. Weitlanger 2013). (Diese Behauptung
ist aber insofern falsch, als Rufe nach Bevölkerungskontrolle mindestens 40
Jahre alt sind.)
Der Irrtum von der
Einen Welt
Auf den ersten Blick erscheinen solche Argumente überzeugend,
aber einer genaueren Betrachtung halten sie nicht stand. Sie leiden an dem, was
man den Irrtum von der Einen Welt nennen könnte. Ein Ideal wird hier für die
Wirklichkeit gehalten. In dem berühmten Brundtland-Bericht von 1987 hieß es: „Die
Erde ist eine Einheit, aber die Welt ist es nicht. Wir alle sind für die
Erhaltung unseres Lebens abhängig von einer gemeinsamen Biosphäre. Dennoch
verfolgt jede Gemeinde, jedes Land Überleben und Wohlstand ohne Rücksicht auf
andere. (WCED 1987:27; Hauff 1987: 31). Im Idealfall sollten wir uns vor allem
als Menschen ansehen und nicht als Inder, Briten, Chinesen, Ugander, Russen
usw. Und idealerweise sollte das Interesse (das Wohlergehen und die Zukunft)
der ganzen Menschheit eines der Hauptanliegen jedes Menschen sein. Das sollte
zwar unsere Zukunftsvision bleiben. Derzeit jedoch, in der realen Welt, in der
wir leben und in der wir handeln müssen, sind wir so weit entfernt von dem
Ideal, dass bloße Stammessolidarität als etwas Großartiges gilt.
Vor diesem realen Hintergrund,
zu einer Zeit, in der die österreichische Regierung nicht einmal 7.000
Wirtschaftsflüchtlingen aus problemgeschüttelten Ländern Asyl gewähren wird,
ist es völliger Unsinn, uns glauben machen zu wollen, dass es noch viele dünn bevölkerte
Gegenden auf der Erde gibt, in denen man größere Zahlen von Menschen aus den dicht
besiedelten Ländern ansiedeln könnte (siehe Zitat weiter oben). Kein Staat der
Welt würde diesen Vorschlag annehmen, nicht einmal der kontinentale Staat
Australien mit seinen lediglich 25 Millionen Einwohnern. Es gibt keine leeren
Landflächen mehr wie in früheren Jahrhunderten. Überall werden immer mehr
Barrieren errichtet, um die Masseneinwanderung der Armen dieser Welt zu
verhindern.
Was nutzt die
Aussage, dass es genug Nahrung in der Welt gebe, die, gleichmäßig verteilt, für
die Ernährung der gesamten Weltbevölkerung ausreichen würde? Bauern in Ländern
mit Agrarüberschüssen würden ihre Erzeugnisse gern an jeden verkaufen, der das
bezahlen kann, aber sie werden nichts verschenken, was sie mit harter Arbeit
und erheblichen Investitionen erwirtschaftet haben. Wo will die wachsende Zahl
von armen Leuten in den weniger entwickelten Ländern das Geld hernehmen, Lebensmittelimporte
zu bezahlen? Übrigens mag es heute genug Nahrungsmittel für alle geben, aber
wie wird es zukünftig aussehen – mit einer viel größeren Weltbevölkerung und
klimabedingten Missernten?
Was die für die
Weltwirtschaft benötigten Ressourcen angeht, scheinen die Gegner der
Bevölkerungskontrolle nicht zu wissen, dass die meisten nur begrenzt zur
Verfügung stehen, nicht erneuerbar sind und rapide erschöpft werden, während
die Weltbevölkerung ständig wächst. Was erneuerbare Ressourcen angeht – Süßwasser,
Holz und andere organische Rohstoffe – so ist auch deren Verfügbarkeit durch
ihre Erneuerbarkeitsrate begrenzt. Obwohl die Landfläche fast gleichbleibt (das
kann sich in naher Zukunft durch den steigenden Meeresspiegel ändern),
verschwindet fruchtbares Land unter Beton- und Asphaltdchungel oder wird
unfruchtbar durch Bodenerosion, Versalzung usw. Die Gegner der
Bevölkerungskontrolle scheinen noch nie etwas von den Grenzen des Wachstums und
dem Problem der Nachhaltigkeit gehört zu haben. Überdies sind zum Leben
unbedingt notwendige Ressourcen wie fruchtbarer Boden, Wasser und fossile
Brennstoffe ungleichmäßig über den Globus verteilt. Ackerland kann gar nicht
importiert werden, Wasser nur begrenzt.
All das bedeutet,
dass die Völker der Welt ihre Probleme selbst lösen müssen, zur Zeit jedenfalls.
Der Glaube an technologische
Lösungen
Gegner der Bevölkerungskontrolle hoffen, dass die
Nahrungsmittelproduktion um ein Mehrfaches der heutigen Menge gesteigert werden
kann. Es ist hinreichend bekannt, dass die Grüne Revolution in der
Landwirtschaft in den 1960er und 1970er Jahren sowie danach die Lücke zwischen
dem Nahrungsmittelbedarf der Weltbevölkerung und der globalen Produktion
schließen konnte. Es ist jedoch auch bekannt, dass der Preis für diese
technologische Lösung – hinsichtlich des Ressourcenverbrauchs und der
Umweltschäden (z.B. abnehmende Artenvielfalt, Bodenschäden, und
Gesundheitsschäden durch Pestizide) – sehr hoch war. Mit zunehmender
Bevölkerungszahl wird dieser Preis weiter steigen. Wie Nafis Sadik vom United Nations
Population Fund (UNFPA) 1990 schrieb, „ist die Bevölkerungszahl immer Teil der
Gleichung. Für jede gegebene Art Technologie, für jedes gegebene Niveau von Verbrauch
oder Verschwendung, für jedes gegebene Niveau von Armut oder Ungleichheit gilt:
je mehr Menschen da sind, desto größer ist die Auswirkung auf die Umwelt.“ (Sadik
1990: 10). Müssen wir wirklich erst ein Problem schaffen oder ein bestehendes
verschlimmern, indem wir unsere Anzahl erhöhen, und dann nach einer
technologischen Lösung suchen, diesmal vielleicht durch die Erzeugung genetisch
manipulierter Nahrungsmittel mit potentiell gefährlicher Auswirkung auf die
Natur und unsere Gesundheit?
Es gibt ein paar
ältere Studien, in denen behauptet wurde, es könne genügend Nahrungsmittel für
eine wachsende Weltbevölkerung erzeugt werden, ohne auf neue, hohe Biotechnologie
zurückzugreifen. 1982 wurde in einer Studie der Food and Agriculture
Organisation (FAO) und der UNFPA behauptet, in den weniger entwickelten Ländern
(ohne China) gebe es genug Land, um 33 Milliarden Menschen ernähren zu können –
allerdings nur, wenn jeder Quadratmeter kultivierbaren Landes und große Mengen
Kunstdünger sowie weitere Chemikalien benutzt würden, für die Produktion einer
gerade ausreichenden Menge vegetarischer Nahrung (Vergl. Sadik 1990: 7). Es gab
aber auch ein Modell für die Erzeugung ausreichender Nahrung für 15 Milliarden
Menschen mit einem mäßigen Einsatz von Kunstdünger und anderen Chemikalien. Es
wurde behauptet, dieses Modell erlaube einen ökologisch umsichtigen Umgang mit
der Natur (vergl. Simon 1991: 30) In jener Zeit nahm man allgemein an, dass
sich die Weltbevölkerung zwischen 2050 und2100 bei 11 bis 14 Milliarden
stabilisieren würde.
Beide dieser
Modelle müssen verworfen werden. Wenn die Menschen in den weniger entwickelten
Ländern (ohne China) genug Nahrung für ihren Teil der für 2050 vorausgesagten 9
Milliarden Menschen erzeugen wollen, und das mit nur mäßigem Einsatz von
Kunstdünger und anderen Chemikalien, damit sie die Umwelt nicht zu sehr
schädigen, dann muss die Landwirtschaft sehr extensiv werden. Dann würden sie mehr
Ackerland benötigen, während sie gleichzeitig infolge zunehmender Urbanisierung
und Industrialisierung rapide kultivierbares Land verlieren. Dies ist nicht nur
ein Szenario für die Zukunft; der zweite Teil dieser Entwicklung beobachtet man
schon jetzt. Dieses Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei Ackerland
hat schon die Aufmerksamkeit von internationalen Investoren erweckt. Seit fünf
oder mehr Jahren jagen sie nach fruchtbarem Land in weniger entwickelten Ländern,
besonders in Afrika und Südamerika. Auch Investoren aus China und ölreichen
arabischen Staaten beteiligen sich an diesem Ansturm. Nach Medienberichten hat
kürzlich eine staatseigene chinesische Gesellschaft 100.000 ha Ackerland in der
Ukraine gepachtet, wo sie Weizen für die chinesische Bevölkerung anbauen will
(Süddeutsche Zeitung, 23.09.2013).
Außerdem würde die
Verwirklichung dieser Modelle bedeuten, dass ein großer Teil der noch
verbliebenen Wälder (einschließlich der kostbaren Regenwälder) verlorenginge.
Selbstverständlich könnte der Ressourcenbedarf der Luxusindustrien radikal ignoriert
werden. Doch selbst die Befriedigung der Grundbedürfnisse von 9 Milliarden
Menschen würde eine Menge Holz als Baumaterial und als Energiequelle erfordern.
Denn Erdöl und Erdgas (mithin viele andere Mineralstoffe) würden mittelfristig äußerst
knapp und sehr teuer werden (Kohle ist schlecht fürs Klima). Das würde
unvermeidlich zu andauernder Abholzung immer weiterer Wälder führen. Abgesehen
davon, dass wir Menschen selbst einen gewissen Anteil der Landfläche mit Wald bedeckt
haben müssten und möchten, sind Wälder (wie auch Sümpfe und andere Biotoparten)
der Lebensraum von vielen Tier- und Pflanzenarten, die wir, nebenbei bemerkt, auch
für unser seelisches, spirituelles und geistiges Wohlbefinden brauchen. Hat der
Mensch das Recht, sich noch mehr Lebensraum anzueignen auf Kosten der anderen
Arten der Natur?
Falls wir uns für
intensivere Landwirtschaft entscheiden, sollten wir uns vergegenwärtigen, dass
es auch Grenzen der Produktionssteigerung durch immer mehr Chemikalieneinsatz gibt.
Schon 1984 schrieb Lester Brown vom Worldwatch Institute, dass Feldfrüchte immer
weniger auf zusätzlichen Kunstdüngereinsatz ansprachen, besonders in der Landwirtschaft
hoch entwickelter Länder. Während der 1950er Jahre erbrachte die Anwendung
einer zusätzlichen Tonne Kunstdünger im Durchschnitt weitere 11,5 Tonnen
Getreide. Während der 1960er fiel diese Zahl auf 8,3 Tonnen, in den 1970ern war
sie nur noch 5,8 Tonnen (Brown 1984: 179). Und um 1980 stellten Wissenschaftler
fest, dass Gewinn pro Einheit Technologieeinsatz im Allgemeinen fiel (vergl.
Trainer 1985: 211)
Heute würde gewiss
jeder vernünftige Mensch zustimmen, dass es leichter ist, Geburtenraten zu
verringern als Wachstumsraten von Nahrungsmittel- und Industrieproduktion zu
steigern.
Die Politik der
Übervölkerung
Die übrigen der weiter oben angeführten Argumente der Gegner
von Bevölkerungskontrolle sind stets in emotional aufgeladenem Stil vorgetragen
worden, fallen aber in die Kategorie billige Politik. So beklagte vor etlichen
Jahren eine feministische Aktivistin aus
Bangladesch, westliche Politiker, NRO-Aktivistinnen und Institutionen wie die
Weltbank, die Bevölkerungskontrollmaßnahmen in diesem Land befürworteten und unterstützten,
würden versuchen, Bangladesch zu entvölkern. Zwei ähnlich scharfe Ausdrücke,
die von anderen benutzt worden sind, sind „Völkermord“ und „Entsorgung der
Armen“.
Nehmen wir an,
dass die derzeitig ungleiche und ungerechte Verteilung von Nahrungsmitteln und
anderen Ressourcen der Erde durch eine Art Weltrevolution überwunden werden
könnte, die den Kapitalismus und das Patriarchat abschaffte und eine gleiche
Verteilung der genannten Ressourcen realisierte. Natürlich wäre das an sich
eine großartige Sache, denn dann wären nicht nur alle zurzeit lebenden Menschen
frei von Ausbeutung und Unterdrückung, sondern sie würden auch ein gewisses Maß
von Wohlstand genießen. Doch das würde der Menschheit nicht helfen, die
Probleme der Schrumpfung ihrer Ressourcenbasis, der zunehmenden Umweltdegradation
und der Erderwärmung mit ihren verheerenden Folgen zu lösen. Nur würde die
Schuld an diesen Geißeln der Menschheit von nun an gleichmäßig verteilt sein.
Also würde die dringende Notwendigkeit, unsere Bevölkerungszahlen und unseren Ressourcenverbrauch
zu senken, auch nach einer solchen Revolution bestehen bleiben. Gott sei Dank
ist es mittlerweile auch vielen wohlhabenden Mitgliedern der gegenwärtig lebenden
Generationen klar geworden, dass sie ihren Wohlstand auf Kosten der Natur und der
zukünftigen Generationen genießen. Und ihnen sind mehr Gründe für unsere derzeitigen
Nöte bewusst als nur der Kapitalismus und der Imperialismus.
Für die Gegner der
Bevölkerungskontrolle ist es unnötig, etwas gegen das Bevölkerungswachstum zu
unternehmen, denn sie sind sich sicher, dass sich die Weltbevölkerung um 2050
bei 9 Milliarden stabilisieren wird. Dieser Glaube beruht auf der Theorie des
demographischen Übergangs. Sie fußt auf Beobachtungen in westeuropäischen
Ländern und besagt: Nachdem ein Land ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht
hat, fallen sowohl die Geburten- als auch die Sterberaten und erreichen
schließlich die gleiche Höhe, so dass sich die Bevölkerung stabilisiert.
Nun wächst
tatsächlich in vielen wohlhabenden westlichen Ländern die Bevölkerung nicht
mehr. Und in vielen weniger entwickelten Ländern sinken die Wachstumsraten. In
Indien begrenzen nach meiner Beobachtung Mitglieder der gebildeten Mittelschicht
die Zahl ihrer Kinder im Schnitt auf zwei. Aber die gebildete Mittelschicht
Indiens zählt nur zwei- bis dreihundert Millionen. Der Rest von Indiens 1,2
Milliarden Menschen folgt diesem Beispiel nicht.
In Westdeutschland
fand der demographische Übergang schon 1972 statt. Es besteht aber keine Aussicht
mehr, dass die große Zahl der armen Länder insgesamt jemals das
Wohlstandsniveau erreichen würden, das Westdeutschland 1972 erreichte. Für die
meisten von ihnen ist der Entwicklungstraum vorbei. Und selbst wenn Wohlstand
irgendwie kommt – z.B. durch die Entdeckung großer Ölfelder – ist das keine
Garantie, dass der demographische Übergang einsetzt. In Saudi-Arabien –
mindestens seit Mitte der 1970er ein sehr reiches Land – hat der demographische
Übergang noch nicht begonnen. Seine Bevölkerung ist von 9,8 Millionen im Jahre
1980 auf 29,2 Millionen im Jahre 2012 angewachsen. Die derzeitige Wachstumsrate
wird auf 1,5% geschätzt (Angaben in Wikipedia). Deshalb sollten wir diesen
friedlichen automatischen Weg zu einer stabilen Weltbevölkerung auf einem niedrigeren
Niveau vergessen.
In der Tat wird
sich die Weltbevölkerung an irgendeinem Punkt stabilisieren, weil sie einfach nicht
endlos wachsen kann. Einige Fachleute meinen sogar, sie werde schon im Jahr
2040 beginnen, sich zu verringern. (vgl. Weitlanger 2013) Was geschehen wird,
was schon geschieht, ist, dass immer mehr Menschen sterben würden, bevor sie
alt werden. Mangelernährung, schlechte Hygieneverhältnisse, diverse Krankheiten
einschließlich der durch Umweltverschmutzung verursa-chten, das Fehlen ausreichender
medizinischer Versorgung, Kriege und Bürgerkriege, Terror-istenangriffe,
scheiternde und gescheiterte Staaten – all dies fordert bereits unzählige Opfer.
In Syrien haben schon nach zweieinhalb Jahren Bürgerkrieg mehr als ein
hunderttausend Menschen vorzeitig das Leben verloren.
Objektive Hindernisse
– Was kann getan werden?
Abgesehen von irrationaler, rein politisch motivierter
Opposition gibt es auch einige objektive, durch die reale Welt bedingte Hindernisse
für Bevölkerungskontrolle – ökonomische, kulturelle und religiöse. In weniger
entwickelten Ländern wie Indien, wo es für die Armen keine institutionalisierte
Altersabsicherung gibt, haben Söhne traditionell die Pflicht, die betagten
Eltern zu versorgen. Um sicherzustellen, dass mindestens zwei der lebenden
Kinder Söhne sind, muss ein armes Paar im Schnitt 5 Kinder zeugen. Dies ist
äußerst rationales wirtschaftliches Verhalten. Außerdem sind Kinder für viele
Bauern billige Arbeitskräfte, die nur für Kost und Logis „wie Esel“ arbeiten. In
den frühen 1970er Jahren machte Mahmood Mamdani eine Studie über das indische
Dorf Manupur, wo zuvor ein intensives Familienplanungsprogramm völlig fehlgeschlagen
war. Mamdani schrieb:
„Kein Programm hätte Erfolg
gehabt, weil Geburtenkontrolle den Kerninteressen der Mehrzahl der Dorfbewohner
widersprach. Geburtenkontrolle zu praktizieren hätte bedeutet, mutwillig ein
wirtschaftliches Desaster heraufzubeschwören. (Mamdani 1972 : 21)
Objektive
Hindernisse sind auch kulturelle Tradition und religiöser Glaube, sowie oft Wettstreit
zwischen religiösen Gruppen, durch größere Zahlen stärker zu werden. Sie wären
jedoch an sich nicht unüberwindbar. Die meisten Menschen passen sich ja
modernen Zeiten an. Diese fordern allerdings auch, dass jeder seine eigenen materiellen
Interessen wahrnimmt und sonst nichts. Der Widerspruch zwischen den unmittelbaren wirtschaftlichen
Interessen der Armen und den Interessen der Nation sowie kommender Generationen
ist eine harte Realität und deshalb schwerer zu überwinden.
Trotzdem muss bald
etwas getan werden, um das Bevölkerungswachstum zu beschränken. Wir können
nicht warten, bis eine sozialistische Revolution stattgefunden hat und die
Macht in die Hände von Revolutionären übergegangen ist, die den Kapitalismus
und das Patriarchat abschaffen. Wenn heute
nichts geschieht, wird sich die Situation weiter verschlimmern, und schließlich
werden in einem Land nach dem anderen reaktionäre Kräfte ihre Art von „Revolution“ machen – vielleicht sogar durch Wahlsiege,
wie kürzlich in Ägypten und Tunesien geschehen – und dann ihre Republik errichten. Auch sie werden es nicht schaffen, Ordnung
in eine brisante Situation zu bringen. Dann wird eine Gesellschaft nach der
anderen zusammenbrechen und in einer Herrschaft von Chaos und Terror enden. Die
Macht wird dann von örtlichen und regionalen Kriegsfürsten ausgeübt werden, und
die werden gegeneinander Krieg führen, um ihr Herrschaftsgebiet auszudehnen.
Das ist nicht
einfach Pessimismus in Bezug auf die Zukunft. Solche Dinge geschehen schon heute,
unmittelbar vor unseren Augen. Man denke nur an Somalia, Afghanistan, Irak,
Syrien, Libyen, Pakistan und Ägypten. Tunesien hängt prekär an einem dünnen
Faden. Sogar in Europa gewinnen reaktionäre Kräfte an Boden – in Griechenland
und Ungarn, und, in einem geringeren Maß, sogar in Frankreich und
Großbritannien. In der zweiten Gruppe dieser Länder ist die sich
verschlechternde Wirtschaftslage der Grund für die besorgniserregende
Situation. In der erstgenannten Ländergruppe aber ist das schnelle Bevölkerungswachstum
der vergangenen Jahrzehnte der wichtigste Faktor bei der Entstehung der
jetzigen Situation gewesen.
An dieser Stelle möchte ich drei Aussagen
von Paul Ehrlich zitieren, der in den 1960ern und 1970ern an vorderster Front
einer öffentlichen Kampagne zur Bevölkerungskontrolle stand. An Sozialisten
gewendet schrieb er:
„Langfristig könnte die
fortwährende Degradation unserer Umwelt mehr Tod und Elend bringen als jedes denkbare
Auseinanderklaffen von Nahrung und Bevölkerung.“
„Die Schlacht zur Rettung unseres Planeten
ist nicht nur eine Schlacht für Bevölkerungskontrolle und ökologische Vernunft,
sondern auch gegen Ausbeutung, Krieg und Rassismus.“
[Aber] „was auch immer Ihre Sache sei, kämpfen
Sie auf verlorenem Posten, wenn wir die Bevölkerung nicht kontrollieren.“ (alle
zit. nach Weißmann 1971: XI & XV).
Ich stimme voll
und ganz zu. Das Eintreten für Bevölkerungskontrolle darf nicht den
imperialistischen Kräften des Westens überlassen werden. Das heißt, alle Typen von
Sozialisten müssen ihre veralteten Programme revidieren. Zusätzlich zu ihren
andauernden und langfristigen Bemühungen, eine Gesellschaft ohne Ausbeutung,
Unterdrückung, Krieg und Rassismus zu schaffen, müssen sie kurz- und mittelfristig
Politiken und Programmen Vorrang geben, die dem Bevölkerungswachstums, der
Umweltschädigung und, allgemein gesprochen, der nicht nachhaltigen Nutzung des
Planeten Einhalt gebieten. Auch solche Politiken, und nicht nur
Wirtschaftswachstum, können die materielle Lage der Armen und der Arbeiterklasse
verbessern.
In weniger
entwickelten Ländern, wie z.B. Indien, kann eine vom Volk gewählte Regierung im
Rahmen einer kurz- und mittelfristigen Politik sozialdemokratischer Art den
Armen, nur den Armen, eine garantierte soziale und Altersabsicherung anbieten,
die vom Staat finanziert wird. Als Gegenleistung müssen die Begünstigten die
Zahl ihrer Kinder auf zwei begrenzen. Der Staat kann alle Maßnahmen zur
wirksamen Geburtenkontrolle voll finanzieren, so dass sich der angesprochene
Teil der Bevölkerung keine Sorgen um die Kosten machen müsste. Er kann eine
entschiedene Politik für die Emanzipation der Frauen und ihre Stärkung durch
Bildung betreiben. Er kann wirksam Kinderehen verbieten, indem er das
Mindestheiratsalter auf, sagen wir, 21 Jahre anhebt.
Eine solche Wohlfahrtspolitik
wäre natürlich noch keine sozialistische Politik. Aber, in den Problemländern
durchgeführt, würde sie deren Gesellschaften vor völligem Ruin bewahren.
Außerdem würde sie den Weg zu einer zukünftigen ökologisch-sozialistischen Gesellschaft
ebnen.
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Weitlanger, Wolfgang (2013) „Population Boom: Film Widerlegt
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http://www.pressetext.com/news/20130917002
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Oxford University Press.
Weißmann, Steve
(1971): “Forward”; in Meek (1971).
Wikipedia.
Geschrieben im September
2013.
Übersetzt aus dem englischen Original von Dr. Jürgen Zenke,
Köln.Redigiert von Ludwig Hörner.
Saral Sarkar
Karl-Begas-Str. 350939 – Köln
Deutschland.
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