Mittwoch, 25. März 2015

Ökosozialismus oder Barbarei -- Thesen


1. Die Geschichte des Kapitalismus war immer schon die Geschichte seiner Krisen. Es liegt in seiner selbstwidersprüchlichen Natur, dass er aus sich heraus Krisen gebiert und seine eigenen Verwertungsbedingungen untergräbt. Der Kapitalismus hat sich bislang immer als flexibel genug erwiesen, dass diese Krisen  – ungeachtet des hohen Preises, den Mensch und Natur zu zahlen hatten – nicht in seinen Untergang führten. Nun aber steht der Kapitalismus weltweit zum ersten Mal vor einer unüberwindlichen Schranke, die ihm „von außen“ gesetzt, geologisch-physikalischer Natur und deshalb endgültig ist: vor den Grenzen des Wachstums durch Erschöpfung der nicht erneuerbaren Ressourcen und durch die Erschöpfung der ökologischen Tragfähigkeit der Erde. Aus dieser „Zangengriffkrise“ kann er nicht entrinnen.

2. Die letzte Ursache der aktuellen Finanz-, Schulden- und Wirtschaftskrise ist eben dieses ans Ende gekommene Wachstum. Das Finanzsystem insgesamt ruht auf der Grundlage von steter Wachstumserwartung auf. Sobald sichtbar wird, dass diese Wachstumserwartung nicht mehr erfüllt werden kann, gerät es notgedrungen ins Wanken. Die herkömmlichen Krisentheorien (marxistischer, schumpeterianischer oder keynesianistischer Provenienz) reichen zur Erklärung nicht mehr aus, und auch ihre Rezepte greifen nicht mehr. Wer zum Beispiel als Alternative zur herrschenden Austeritätspolitik die gegenwärtige Verschuldungskrise durch keynesianistische Konjunkturbelebung bewältigen will, der übersieht die objektiven Grenzen des Wachstums, der übersieht, dass es keine brachliegenden Wachstumspotenziale mehr gibt, die mobilisiert werden könnten.

3. Vor allem mit dem Schlagwort „Green New Deal“ wird heute die Ideologie verbreitet, das kapitalistische Wachstum könne mit anderen technischen Mitteln weitergeführt werden wie bisher. Es wird suggeriert, es gäbe eine „Entkoppelung“ von Wirtschafswachstum und Ressourcen- bzw. Energieverbrauch in genügend hohem Maße durch den Einsatz erneuerbarer Energien und Effizienztechnologien. Das ist eine der gefährlichsten Illusionen eines „Ökokapitalismus“. Effizienzpotenziale sind begrenzt und unterliegen dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Das Potenzial erneuerbarer Energien ist ebenfalls nicht unerschöpflich. Die Energiedichte, die mit den – gerade wegbrechenden – fossilen Energiequellen gegeben war, kann nicht annähernd erreicht werden. Das heißt, uns wird bei allem notwendigen Einsatz „grüner Technik“ unterm Strich erheblich weniger Nettoenergie zur Verfügung stehen als heute.

4. Nicht nur der globale Kapitalismus, der ja auf stetig wachsende Kapitalakkumulation auf immer höherer Stufenleiter und auf eine weltweit funktionierende stark ausdifferenzierte Arbeitsteilung angewiesen ist – sondern auch die Industriegesellschaft insgesamt steht zur Disposition! Die Industriegesellschaft war menschheitsgeschichtlich betrachtet eine nicht verallgemeinerbare Singularität, eine Ausnahmesituation einer kurzen Zeitspanne und immer nur für den kleineren Teil der Menschheit, die nur auf der Grundlage der massiven Ausbeutung fossiler Energieträger – erst Kohle, dann Erdöl – möglich war. Künftige, nachhaltige Gesellschaften werden mit einer wesentlich bescheideneren Ressourcenbasis auskommen. Motorisierter Massen“individual“verkehr, die Selbstverständlichkeit von Fernflügen, etc. werden dann nicht mehr möglich sein. Mit erneuerbaren Energien kann man weniger Hochöfen befeuern, weniger Zement herstellen, weniger Aluminium produzieren ...

5. Ein wesentlicher Unterschied zwischen einem marxistischen Sozialismusverständnis und dem der „Initiative Ökosozialismus“ ist: Während Marx und Engels die historische Rolle des Kapitals in der möglichst hohen Entfaltung der Produktivkräfte sahen, auf deren Grundlage erst der Aufbau einer sozialistischen (bzw. kommunistischen) Gesellschaft möglich ist, sagt die „Initiative Ökosozialismus“: Umgekehrt wird ein Schuh draus: Eine sozialistische (solidarische, egalitäre)  Gesellschaft ist unabhängig von einem bestimmten Grad der Produktivkraftentwicklung, ja, letztere kann dafür sogar hinderlich sein.

6. Die Wirtschaft wird in Zukunft nicht nur nicht mehr wachsen, sondern zwangsläufig schrumpfen! Politisch stehen wir vor der Alternative, diesen Schrumpfungsprozess über uns hereinbrechen zu lassen oder ihn bewusst politisch zu gestalten. In unserem Sinne heißt das natürlich: ihn gerecht und solidarisch zu gestalten. Die Wirtschaft wird schrumpfen müssen, bis sie einen Zustand des stabilen Gleichgewichts erreicht hat („steady state“).

7. Ein solcher Schrumpfungsprozess ist aber nicht mehr im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse zu bewerkstelligen. Schulökonomisch kommt er ja einer tiefen Depression gleich, das heißt: Es wird Kapital in großen Stil vernichtet, ganze Industriebranchen stehen vor dem Untergang, und sinkende Profitraten werden private Investitionen verhindern. Eine schrumpfende Wirtschaft steht im Widerspruch zum Wachstumsimperativ des Kapitalismus selbst. Das heißt, der notwendige industrielle Abrüstungsprozess kann nur noch jenseits des Kapitalismus – und vermutlich auch gegen seinen Widerstand – organisiert werden.

8. Unter den Bedingungen knapper Ressourcen greifen marktwirtschaftliche Mechanismen nicht mehr. Marktwirtschaft funktioniert – wenn überhaupt – nur unter der Voraussetzung, dass alle Marktteilnehmer flexibel auf die Signale des Marktes reagieren können. Knappe Ressourcen bedeuten aber, dass wir es in diesem Bereich mit „Verkäufermärkten“ zu tun haben. Es besteht dann die Gefahr schwerwiegender „Fehlallokationen“, das heißt: Knappe Ressourcen fließen nicht da hin, wo wir sie als Gesellschaft als lebenswichtig und wünschenswert empfinden, sondern da hin, wo genügend Kaufkraft vorhanden ist. Unter Knappheitsbedingungen kann der Markt auch kein Minimum an sozialer Gerechtigkeit mehr garantieren. Das heißt: Anstelle der Marktmechanismen brauchen wir bewusste Planung, Mengenregulierungen, Quotenvergaben, Preiskontrollen  etc.

9. In einer ersten Phase – der Schrumpfungsphase – wird der Staat als starker Akteur unvermeidlich sein. Das ist natürlich keine Idealvorstellung. Planung sollte möglichst dezentral, mit einem Maximum an Partizipation der Betroffenen und mit einem hohen Maß an Autarkie lokaler Gemeinschaften erfolgen. Nicht zuletzt deshalb sind „bottom-up“-Ansätze im Sinne der „Solidarischen Ökonomie“ zentral.

10. Eine ökosozialistische Ökonomie wird sich auszeichnen durch eine starke Konzentration auf den lokalen und regionalen Bezug, durch eine starke Einschränkung des Fernhandels, durch eine höhere Arbeitsintensität (die heutige hohe Arbeitsproduktivität ist zum Großteil nur die Kehrseite einer hohen Energieintensität), durch ein geringeres Maß an Arbeitsteilung und ein hohes Maß an Selbstversorgung.

11. Vor dem Hintergrund dieser Zukunftsperspektive käme es nun darauf an, a) konkrete Exitstrategien zu entwickeln, das heißt zu sehen, welche politischen Schritte eine solidarische industrielle Abrüstung einleiten könnten, bzw. b) „linke“ Politikvorschläge (zum Beispiel ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ etc.) daraufhin zu befragen, ob sie damit kompatibel sind.

Bruno Kern
Initiative Ökosozialismus

Unsere Website: www.oekosozialismus.net; E-Mail: info@oekosozialismus.net
Kontaktadresse: Initiative Ökosozialismus, c/o Bruno Kern, Mombacher Straße 75 A, 55122 Mainz
Folgende Publikationen finden sich auf unserer Website oder können über die Kontaktadresse bezogen werden:

Saral Sarkar, Die nachhaltige Gesellschaft. Eine kritische Analyse der Systemalternativen, Stuttgart 2009.
Saral Sarkar, Die Krisen des Kapitalismus. Eine andere Studie der politischen Ökonomie, Neu-Ulm 2010.
Saral Sarkar / Bruno Kern, Ökosozialismus oder Barbarei. Eine zeitgemäße Kapitalismuskritik Köln / Mainz 2008 (Broschüre)
Bruno Kern, Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Energiewende zwischen infantilen Fantasien und Ernüchterung, Mainz 2012 (Paper)
Saral Sarkar, Die aktuelle Weltwirtschaftskrise verstehen. Ein ökosozilaistischer Ansatz, Köln 2012 (Broschüre)

ViSdPG: Bruno Kern, Mainz.

PS. Ich, Saral Sarkar, möchte hier nur eine Anmerkung hinzufügen:
Den Begriff Wachstum sollten wir vorsichtig benutzen. Denn die Wachstumszahlen schließen auch viele nutzlose, sogar zerstörerische, Wirtschaftsleistungen ein. Diesen Punkt habe ich in meinem Buch Die Krisen des Kapitalismus – Eine andere Studie der politischen Ökonomie ausführlich erörtert.