1. Die Geschichte des Kapitalismus war immer schon
die Geschichte seiner Krisen. Es liegt in seiner selbstwidersprüchlichen Natur,
dass er aus sich heraus Krisen gebiert und seine eigenen Verwertungsbedingungen
untergräbt. Der Kapitalismus hat sich bislang immer als flexibel genug
erwiesen, dass diese Krisen – ungeachtet
des hohen Preises, den Mensch und Natur zu zahlen hatten – nicht in seinen
Untergang führten. Nun aber steht der
Kapitalismus weltweit zum ersten Mal vor einer unüberwindlichen Schranke, die
ihm „von außen“ gesetzt, geologisch-physikalischer Natur und deshalb endgültig
ist: vor den Grenzen des Wachstums durch Erschöpfung der nicht erneuerbaren
Ressourcen und durch die Erschöpfung der ökologischen Tragfähigkeit der Erde.
Aus dieser „Zangengriffkrise“ kann er nicht entrinnen.
2. Die letzte Ursache der aktuellen Finanz-,
Schulden- und Wirtschaftskrise ist eben dieses ans Ende gekommene Wachstum. Das
Finanzsystem insgesamt ruht auf der Grundlage von steter Wachstumserwartung
auf. Sobald sichtbar wird, dass diese Wachstumserwartung nicht mehr erfüllt
werden kann, gerät es notgedrungen ins Wanken. Die herkömmlichen Krisentheorien
(marxistischer, schumpeterianischer oder keynesianistischer Provenienz) reichen
zur Erklärung nicht mehr aus, und auch ihre Rezepte greifen nicht mehr. Wer zum
Beispiel als Alternative zur herrschenden Austeritätspolitik die gegenwärtige Verschuldungskrise
durch keynesianistische Konjunkturbelebung bewältigen will, der übersieht die objektiven Grenzen des Wachstums, der
übersieht, dass es keine brachliegenden Wachstumspotenziale mehr gibt, die
mobilisiert werden könnten.
3. Vor allem mit dem Schlagwort „Green New Deal“
wird heute die Ideologie verbreitet, das kapitalistische Wachstum könne mit
anderen technischen Mitteln weitergeführt werden wie bisher. Es wird
suggeriert, es gäbe eine „Entkoppelung“ von Wirtschafswachstum und Ressourcen-
bzw. Energieverbrauch in genügend hohem Maße durch den Einsatz erneuerbarer
Energien und Effizienztechnologien. Das ist eine der gefährlichsten Illusionen
eines „Ökokapitalismus“. Effizienzpotenziale sind begrenzt und unterliegen dem
Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Das Potenzial erneuerbarer Energien ist
ebenfalls nicht unerschöpflich. Die Energiedichte, die mit den – gerade
wegbrechenden – fossilen Energiequellen gegeben war, kann nicht annähernd
erreicht werden. Das heißt, uns wird bei allem notwendigen Einsatz „grüner
Technik“ unterm Strich erheblich weniger
Nettoenergie zur Verfügung stehen als heute.
4. Nicht nur der globale Kapitalismus, der ja auf
stetig wachsende Kapitalakkumulation auf immer höherer Stufenleiter und auf
eine weltweit funktionierende stark ausdifferenzierte Arbeitsteilung angewiesen
ist – sondern auch die Industriegesellschaft
insgesamt steht zur Disposition! Die Industriegesellschaft war
menschheitsgeschichtlich betrachtet eine nicht verallgemeinerbare Singularität,
eine Ausnahmesituation einer kurzen Zeitspanne und immer nur für den kleineren
Teil der Menschheit, die nur auf der Grundlage der massiven Ausbeutung fossiler
Energieträger – erst Kohle, dann Erdöl – möglich war. Künftige, nachhaltige
Gesellschaften werden mit einer wesentlich bescheideneren Ressourcenbasis
auskommen. Motorisierter Massen“individual“verkehr, die Selbstverständlichkeit
von Fernflügen, etc. werden dann nicht mehr möglich sein. Mit erneuerbaren
Energien kann man weniger Hochöfen befeuern, weniger Zement herstellen, weniger
Aluminium produzieren ...
5. Ein wesentlicher Unterschied zwischen einem marxistischen
Sozialismusverständnis und dem der „Initiative Ökosozialismus“ ist: Während
Marx und Engels die historische Rolle des Kapitals in der möglichst hohen
Entfaltung der Produktivkräfte sahen, auf deren Grundlage erst der Aufbau einer
sozialistischen (bzw. kommunistischen) Gesellschaft möglich ist, sagt die
„Initiative Ökosozialismus“: Umgekehrt wird ein Schuh draus: Eine sozialistische (solidarische,
egalitäre) Gesellschaft ist unabhängig
von einem bestimmten Grad der Produktivkraftentwicklung, ja, letztere kann
dafür sogar hinderlich sein.
6. Die Wirtschaft wird in Zukunft nicht nur nicht
mehr wachsen, sondern zwangsläufig schrumpfen! Politisch stehen wir vor der
Alternative, diesen Schrumpfungsprozess über uns hereinbrechen zu lassen oder
ihn bewusst politisch zu gestalten. In unserem Sinne heißt das natürlich: ihn
gerecht und solidarisch zu gestalten. Die Wirtschaft
wird schrumpfen müssen, bis sie einen
Zustand des stabilen Gleichgewichts
erreicht hat („steady state“).
7. Ein solcher Schrumpfungsprozess ist aber nicht
mehr im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse zu bewerkstelligen.
Schulökonomisch kommt er ja einer tiefen Depression gleich, das heißt: Es wird
Kapital in großen Stil vernichtet, ganze Industriebranchen stehen vor dem
Untergang, und sinkende Profitraten werden private Investitionen verhindern. Eine schrumpfende Wirtschaft steht im
Widerspruch zum Wachstumsimperativ des Kapitalismus selbst. Das heißt, der
notwendige industrielle Abrüstungsprozess kann nur noch jenseits des Kapitalismus
– und vermutlich auch gegen seinen Widerstand – organisiert werden.
8. Unter den Bedingungen knapper Ressourcen greifen
marktwirtschaftliche Mechanismen nicht mehr. Marktwirtschaft funktioniert –
wenn überhaupt – nur unter der Voraussetzung, dass alle Marktteilnehmer
flexibel auf die Signale des Marktes reagieren können. Knappe Ressourcen
bedeuten aber, dass wir es in diesem Bereich mit „Verkäufermärkten“ zu tun
haben. Es besteht dann die Gefahr schwerwiegender „Fehlallokationen“, das
heißt: Knappe Ressourcen fließen nicht da hin, wo wir sie als Gesellschaft als
lebenswichtig und wünschenswert empfinden, sondern da hin, wo genügend
Kaufkraft vorhanden ist. Unter Knappheitsbedingungen kann der Markt auch kein
Minimum an sozialer Gerechtigkeit mehr garantieren. Das heißt: Anstelle der
Marktmechanismen brauchen wir bewusste
Planung, Mengenregulierungen, Quotenvergaben, Preiskontrollen etc.
9. In einer ersten Phase – der Schrumpfungsphase –
wird der Staat als starker Akteur unvermeidlich sein. Das ist natürlich keine
Idealvorstellung. Planung sollte möglichst dezentral, mit einem Maximum an
Partizipation der Betroffenen und mit einem hohen Maß an Autarkie lokaler
Gemeinschaften erfolgen. Nicht zuletzt deshalb sind „bottom-up“-Ansätze im
Sinne der „Solidarischen Ökonomie“ zentral.
10. Eine ökosozialistische Ökonomie wird sich
auszeichnen durch eine starke Konzentration auf den lokalen und regionalen
Bezug, durch eine starke Einschränkung des Fernhandels, durch eine höhere
Arbeitsintensität (die heutige hohe Arbeitsproduktivität ist zum Großteil nur
die Kehrseite einer hohen Energieintensität), durch ein geringeres Maß an
Arbeitsteilung und ein hohes Maß an Selbstversorgung.
11. Vor dem Hintergrund dieser Zukunftsperspektive
käme es nun darauf an, a) konkrete Exitstrategien zu entwickeln, das heißt zu
sehen, welche politischen Schritte eine solidarische industrielle Abrüstung
einleiten könnten, bzw. b) „linke“ Politikvorschläge (zum Beispiel ein
„bedingungsloses Grundeinkommen“ etc.) daraufhin zu befragen, ob sie damit
kompatibel sind.
Bruno Kern
Initiative Ökosozialismus
Initiative Ökosozialismus
Unsere Website: www.oekosozialismus.net; E-Mail: info@oekosozialismus.net
Kontaktadresse: Initiative Ökosozialismus, c/o Bruno Kern, Mombacher Straße 75 A, 55122 Mainz
Folgende Publikationen finden sich auf unserer Website oder können über die Kontaktadresse bezogen werden:
Kontaktadresse: Initiative Ökosozialismus, c/o Bruno Kern, Mombacher Straße 75 A, 55122 Mainz
Folgende Publikationen finden sich auf unserer Website oder können über die Kontaktadresse bezogen werden:
Saral Sarkar, Die nachhaltige Gesellschaft. Eine
kritische Analyse der Systemalternativen, Stuttgart 2009.
Saral Sarkar, Die Krisen des Kapitalismus. Eine andere Studie der politischen Ökonomie, Neu-Ulm 2010.
Saral Sarkar / Bruno Kern, Ökosozialismus oder Barbarei. Eine zeitgemäße Kapitalismuskritik Köln / Mainz 2008 (Broschüre)
Bruno Kern, Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Energiewende zwischen infantilen Fantasien und Ernüchterung, Mainz 2012 (Paper)
Saral Sarkar, Die aktuelle Weltwirtschaftskrise verstehen. Ein ökosozilaistischer Ansatz, Köln 2012 (Broschüre)
Saral Sarkar, Die Krisen des Kapitalismus. Eine andere Studie der politischen Ökonomie, Neu-Ulm 2010.
Saral Sarkar / Bruno Kern, Ökosozialismus oder Barbarei. Eine zeitgemäße Kapitalismuskritik Köln / Mainz 2008 (Broschüre)
Bruno Kern, Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Energiewende zwischen infantilen Fantasien und Ernüchterung, Mainz 2012 (Paper)
Saral Sarkar, Die aktuelle Weltwirtschaftskrise verstehen. Ein ökosozilaistischer Ansatz, Köln 2012 (Broschüre)
ViSdPG: Bruno Kern, Mainz.
PS. Ich, Saral Sarkar, möchte hier nur eine
Anmerkung hinzufügen:
Den Begriff Wachstum sollten wir vorsichtig benutzen. Denn die Wachstumszahlen schließen auch viele nutzlose, sogar zerstörerische, Wirtschaftsleistungen ein. Diesen Punkt habe ich in meinem Buch Die Krisen des Kapitalismus – Eine andere Studie der politischen Ökonomie ausführlich erörtert.
Den Begriff Wachstum sollten wir vorsichtig benutzen. Denn die Wachstumszahlen schließen auch viele nutzlose, sogar zerstörerische, Wirtschaftsleistungen ein. Diesen Punkt habe ich in meinem Buch Die Krisen des Kapitalismus – Eine andere Studie der politischen Ökonomie ausführlich erörtert.