Ich möchte heute den Lesern dieses Blogs den folgenden Text von Denis D. Gray empfehlen . Er sollte zusammen mit meinem schon erschienen Blog-Text "Pachamama und Deep Ecology" gelesen werden. Der Zusammenhang, denke ich, braucht nicht extra erklärt zu werden.
Einige essen Chili
Am Fuße des Himalaya kämpfen Bauern gegen Elefanten, deren ursprünglicher Lebensraum beinahe völlig verschwunden ist.
Wenn im indischen Dorf Jia Gabharu die Reisernte bevorsteht, bezieht eine Gruppe junger Männer jeden Abend bei Sonnenuntergang Posten und hält Ausschau nach Elefanten. Sie kommen von den Ausläufern des Himalayas. Ein fünf Kilometer langer Elektrozaun soll die grauen Riesen von den Feldern fernhalten. Außerdem sind mit Speeren, Fackeln, Gewehren und Gift bewaffnete Patrouillen unterwegs. Der Kampf zwischen Menschen und Elefanten tobt im Unionsstaat Assam seit Jahren. Tierschützer fürchten, dass die Dickhäuter ihn bald endgültig verloren haben.
Immer weniger Wald und Grasland haben die Elefanten in Assam zur Verfügung. Ihr Lebensraum schrumpft in insgesamt 13 asiatischen Staaten. In Indien und Sri Lanka, wo der Konflikt schon lange eskaliert ist, kommen jedes Jahr mehr als 250 Menschen und mehr als 400 Elefanten ums Leben. Auch aus Indonesien, Malaysia und Thailand werden regelmäßig Todesfälle auf beiden Seiten vermeldet. Zum Vergleich: Haie töten im Jahr weniger als ein Dutzend Schwimmer.
Die Dickhäuter sterben an Elektrozäunen. Sie werden mit Gewehren und vergifteten Pfeilen erschossen. Oder sie trinken Reiswein, der für sie mit Gift versetzt wurde - aus Notwehr. In der Ortschaft Galighat im Osten Assams tötete ein Elefantenbulle kürzlich binnen eines Monats fünf Menschen. Sechs Häuser wurden zerstört und Dutzende Bananenstauden abgefressen. "Wir haben die Regierung um Hilfe gebeten, aber nichts ist passiert. Wir haben alle nur möglichen Vorkehrungen getroffen. Wir haben gebetet. Aber nichts funktioniert", sagt der Dorfbewohner Mohammed Abul Ali. "Wir können nicht gemeinsam existieren."
Umweltschützer stimmen dem im Prinzip zu. Trotz mehrerer Schutzprojekte steht es schlecht um die friedliche Koexistenz. Elefanten sind mittlerweile aus 95 Prozent ihres einstigen Lebensraums verschwunden, der sich vom Mittelmeer bis zum Gelben Fluss in Nordchina erstreckte. Während in Thailand Anfang des 20. Jahrhunderts noch rund 100000 Elefanten lebten, sind es heute weniger als 6000. Die Ursachen des dramatischen Rückgangs der Populationen seien jedem Dorfbewohner geläufig, sagt Bhupendra Nath Talukdar vom "Assam Forest Department": Mit der Rodung der Wälder verlören Elefanten ihre sicheren Rückzugsorte und fänden nichts mehr zu fressen. Das treibe sie in die Dörfer, wo sie "ganz leicht besiegt" würden, wie Talukdar meit. "Es war ihr Land, und jetzt haben wir es besetzt."
So leicht ist der Kampf gegen die Tiere allerdings nicht. Sie zu töten, ist in Asien offiziell verboten, und Schutzmaßnahmen auszutüfteln eine große Herausforderung. Elefanten sind schlau und lernen schnell. Sie fallen kaum zweimal auf denselben Trick herein. Der Ranger Gopal Deka aus Jia Gabharu berichtet, dass ein Tier den um das Dorf herum errichteten Elektrozaun erst ausgiebig betrachtet und dann einfach mit dem Ast eines Bananenbaums niedergedrückt habe.
An traditionelle Abschreckungsmittel wie Feuerwerk, Trommeln oder Fackeln haben sich viele Herden schnell gewöhnt. Und manche entwickelten Appetit auf lange verschmähte Pflanzen wie Zitrusfrüchte, die bis dato in "Pufferzonen" angebaut wurden. In Bhutan wurden Elefanten beobachtet, die Orangen fraßen. In Sri Lanka ließen sich einige Chilis schmecken. Die feurigen Schoten gelten bis heute dennoch als bestes Mittel zur Verteidigung. Sie werden weiterhin als Paste, mit Schmierfett und Tabak gemischt, auf Zäune aufgetragen.
Die Elefanten werden auf der Futtersuche auch listiger. Ein Bulle habe gelernt, Tore zu öffnen und sich in Küchen und Lagerräumen zu bedienen, ohne Schäden anzurichten, berichtet ein Mitarbeiter des "Assam Haathi Projekts". Ein Quartett männlicher Tiere habe sich auf das Umstellen von Häusern verlegt: zwei vorn, einer an der Rückseite, damit die Bewohner nicht flüchten und Verstärkung holen. Der vierte bediene sich an den Vorräten. Die Beute werde später redlich geteilt.
Gewalttätige Elefanten seien in der Regel Außenseiter, betont Dinesh Choudhury, dessen Familie seit Generationen mit den Dickhäutern arbeitet: von der Herde ausgestoßene junge Bullen beispielsweise, alte Tiere mit schmerzhaften Verletzungen oder Bullen im Hormonrausch. Ganze Herden fallen nur selten in Ortschaften ein.
Früher zogen die Tiere ohne Probleme an menschlichen Siedlungen vorbei. In den vergangenen Jahrzehnten wurden mehr als 65 Prozent der Wälder am Fuß des Himalayas gerodet. Auch das Grasland ist verschwunden. Deshalb müssen die Elefanten heute durch Ortschaften und Plantagen wandern. Ihre Korridore sind von Straßen, Bahngleisen und Dämmen durchzogen. Sie geraten zwangsläufig mit den Menschen in Konflikt.
Ernstzunehmende Lösungsansätze gibt es nicht, sagt Hiten Kumar Baishya vom WWF. "Politiker haben kein Interesse an Wildtieren. Sie sind ihnen nur lästig. Wildtiere wählen nicht." Es gebe deshalb wohl keine Chance, auch nur ein Prozent der zerstörten Wälder wieder aufzuforsten. "Wir können nicht einmal das schützen, was wir haben."
Dinesh Choudhury ist ähnlich pessimistisch. "Das Schicksal der Assam-Elefanten? Wir werden nur ihre Gräber sehen, sonst nichts."
Denis D. Gray/AP, Junge Welt 26.05.2011
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