Freitag, 22. Dezember 2023

 Bevölkerungswachstum – ein Schlüsselproblem unserer Zeit

 Einleitung

Wir sind drei Autoren, Vortragende und Aktivisten, die seit Jahrzehnten in vielfacher Hinsicht in den Bereichen Ökologie, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik publizieren und aktiv sind (siehe auch die Kurz-Vitae am Ende dieses Texts). Einer von uns, Saral Sarkar, indischer Staatsangehöriger, der die ersten 45 Jahre seines Lebens in Indien verbracht hat und seit 1982 in Deutschland lebt, kennt die Lebensrealitäten und unterschiedlichen Zugänge aus beiden Welten (der eines Entwicklungs- und Schwellenlands, der eines reichen Industrielands) sehr gut.

Während die vielfältigen Symptome der ökologischen und humanitären Krisen immer deutlicher zu Tage treten, ist es doch erstaunlich, dass eine ganz wesentliche und im Grunde offensichtliche Mitursache davon kaum Erwähnung findet – eine nach wie vor sehr stark wachsende Bevölkerung (global und insbesondere in vielen Krisengebieten). Wie sicher bekannt ist, wurde vor kurzem die Marke von 8 Milliarden Menschen weltweit überschritten.

Wir sind uns dessen bewusst, dass wir bei der Analyse der Ursachen der verschiedenen Krisen sie nicht auf das Bevölkerungswachstum reduzieren dürfen, und dass diese heikle Thematik eine behutsame Herangehensweise erfordert. Dennoch halten wir sie für deutlich unterbewertet und unterbelichtet. Es gibt dazu praktisch keinen öffentlichen Diskurs. Das Thema wird tendenziell verdrängt und totgeschwiegen.

Wir bitten Sie, unsere im Folgenden kompakt dargestellte Position zu lesen und zu überdenken. Wir freuen uns auf Ihr Feedback, Ihre Unterstützung und Ihr Aktivwerden im Sinne unserer Positionen.

Das Problem

Nach wie vor wächst die Weltbevölkerung sehr stark – pro Jahr um die stattliche Zahl von etwa 85 bis 90 Millionen Menschen. Bildlich gesprochen, wachsen der Welt also pro Jahr ein Deutschland oder zehn Österreichs zu, zumindest auf die Bevölkerungsanzahl dieser Länder bezogen.

In welchen Häusern werden diese zusätzlich hinzugekommenen Menschen wohnen, wovon werden sie sich ernähren, wie werden sie mobil sein, welche Jobs werden sie einmal haben (wenn sie überhaupt einmal welche haben werden)? Werden sie überhaupt einmal die Chance auf (und die materiellen Möglichkeiten für) ein gelingendes und menschenwürdiges Leben haben?

Dieses Wachstum findet auf einem schon "ächzenden Planeten" statt, auf dem die Grenzen des Wachstums bereits erreicht sind, worauf viele Indikatoren hinweisen. Die Ökosphäre, auf die wir als Spezies Homo Sapiens und alle anderen Arten für ihr Überleben angewiesen sind, ist bereits schwer in Mitleidenschaft gezogen worden.

Das Wachstum der Weltbevölkerung geht Hand in Hand mit den verschiedenen Belastungen unserer natürlichen Umwelt, wie etwa den zunehmenden Treibhausgas-Emissionen, dem Bodenverbrauch, oder dem Verbrauch an mineralischen und biogenen Ressourcen. Es wäre natürlich falsch, für diese Belastungen alleine das Bevölkerungswachstum verantwortlich zu machen. Genauso falsch wäre es aber auch, seine Bedeutung auszublenden und herunterzuspielen. Noch stärker gewachsen als die Weltbevölkerung ist nämlich seit dem Beginn der Industrialisierung das Verbrauchsniveau pro Kopf – aber beide Triebkräfte zusammen üben einen massiv zunehmenden Druck auf die Ökosphäre und unsere planetare Ressourcenbasis aus.

Es zeichnet sich auch sehr deutlich ab, dass technologische Innovationen alleine bei weitem nicht ausreichen werden, uns „zu retten“ (auch wenn das viele bzw. die meisten immer noch nicht wahrhaben wollen). Beispielsweise wird sich die Energiewende, die von vielen als ein Schlüsselprojekt einer nachhaltigen Entwicklung angesehen wird, nicht in der erwarteten bzw. geplanten Art umsetzen lassen. Bei genauerem Hinsehen weist dieses Vorhaben zu viele Schwachstellen, Dilemmata und Begrenzungen auf.

Letztlich kann nur in einer Postwachstumsgesellschaft, wie auch immer diese konkret aussehen mag, ein längerfristiges Überleben der Menschheit und auch ein (einigermaßen) gutes Leben, möglich sein. Eine Postwachstumsgesellschaft bedeutet, dass einerseits das Wachstum der Bevölkerung zu Ende gehen muss, diese sogar auf ein deutlich niedrigeres, verträglicheres Niveau schrumpfen sollte, aber auch, dass der materielle Verbrauch pro Kopf nicht auf dem derzeitigen hohen Niveau bleiben kann, also ebenfalls deutlich schrumpfen muss.

Diese Reduktion des Pro-Kopf-Konsums gilt zwar in erster Linie für die reichen Länder (im sogenannten „globalen Norden“), aber sie gilt auch für gar nicht so wenige Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern, die bereits einen relativ hohen Lebensstandard erreicht haben. Und sie gilt auch deswegen, weil sich die Hoffnungen der meisten Menschen in diesen Ländern auf einen hohen materiellen Lebensstandard nicht verwirklichen lassen – und wenn, dann nur um den hohen Preis einer weiteren Beeinträchtigung und Zerstörung der lokalen und globalen natürlichen Umwelt.

Ohne Stopp des Bevölkerungswachstums und in weiterer Folge auch Rückgang der Weltbevölkerung wird also eine nachhaltige, ökologisch einigermaßen verträgliche Ökonomie nicht möglich sein. Entweder wird diese Schrumpfung auf bewusstem, willentlichem Weg herbeigeführt, oder sie passiert ungeordnet, ja chaotisch in Form des Kollapses von Gesellschaften.

Es ist kein Zufall, dass viele Konflikte und Kriege gerade in Regionen stattfinden, in denen die Bevölkerung seit langem schier ungebremst wächst. Auch der jüngst wieder hochgekochte Nahostkonflikt hat eine starke demografische Komponente, auch wenn diese nicht im Fokus der Berichterstattung und Analysen steht.

Wie so vieles auf der Welt, ist auch die Bevölkerungsdynamik sehr ungleich ausgeprägt. Während es einige Regionen gibt, die bereits einen demografischen Übergang geschafft haben, in denen die Bevölkerung also nicht mehr wächst oder eventuell sogar zurückgeht, gibt es andere Regionen, in denen die Bevölkerung noch massiv wächst und auch ein demografischer Übergang nicht klar erkennbar ist.

Ein besonderer Hotspot ist in dieser Hinsicht Subsahara-Afrika. Prognosen der UN gehen mindestens von einer Verdreifachung der Bevölkerung in dieser Region bis 2100 aus. Angesichts der Instabilität und der Vielzahl an Problemen, die es in dieser Großregion jetzt schon gibt, ist dieser Ausblick auf eine Bevölkerungsvervielfachung in den nächsten Jahrzehnten nur als demografische Katastrophe zu begreifen. Eine Katastrophe, der die Weltgemeinschaft weitgehend rat- und tatenlos zusieht.

Aber auch in anderen Weltregionen gibt es nicht-nachhaltige, problematische Entwicklungen. So wächst im mittlerweile bevölkerungsreichsten Land der Welt, in Indien, die Bevölkerung pro Jahr um etwa 14 Millionen. Mehr als 15 Prozent des globalen Bevölkerungswachstums findet also allein in diesem Land statt.

Und die „Lösung“? Gibt es überhaupt eine?

Wenn man nun die grundsätzliche Richtigkeit dieses Problemaufrisses anerkennt – zumindest weitgehend, bzw. in entscheidenden Bereichen, stellen sich viele Fragen:

Was kann man tun? Kann man auf die Entwicklung der Bevölkerung überhaupt Einfluss nehmen, insbesondere wenn die betroffenen Menschen in weit entfernten geographischen Regionen und auch in anderen Kulturkreisen leben? Ist es überhaupt legitim, wenn „wir im globalen Norden“ (oder Westen) darüber nachdenken, was andere – Länder, Regionen, Gruppen von Menschen – tun sollen oder dürfen? Ist das nicht vielleicht anmaßend und, angesichts einer von Ausbeutung geprägten kolonialen Vergangenheit, unangebracht? Und haben nicht Beispiele von Bevölkerungspolitik aus der Vergangenheit gezeigt, dass diese inhärent reaktionär und menschenverachtend ist?

Trotz aller Bedenken und Einwände denken wir, dass es an der Zeit ist, diese defensive Haltung zu überwinden und die Tabuthemen Bevölkerung, Bevölkerungswachstum und Bevölkerungspolitik aus der Tabuzone zu holen. Eine Eindämmung des Bevölkerungswachstums ist nicht nur eine planetarische Notwendigkeit, sondern liegt ebenso im eigenen Interesse der betroffenen Länder, die mit einer stark wachsenden Bevölkerung in jeder Hinsicht überfordert sind.

Bevölkerungspolitik ist nicht von vornherein reaktionär. Wie auf anderen Politikfeldern auch kommt es auch hierbei auf die konkrete Ausgestaltung an. Ein möglichst hohes Maß an Partizipation, Aufklärung und Selbstermächtigung der Menschen, die auf deren Mündigkeit setzt, beugt einem Missbrauch vor. Dafür gibt es da und dort bereits ermutigende Beispiele, etwa die Aufklärungsarbeit von Hermione Quenum in Benin.

Was also tun? Wo könnte es konkrete Ansatzpunkte für Initiativen geben?

1. Zum Thema machen, sichtbar machen

Uns ist bewusst, dass es für Politiker aus (reichen) Ländern mit kolonialer Vergangenheit besonders schwierig ist, dieses Thema öffentlich anzusprechen. Aber sie haben die Möglichkeit, Amtskollegen in Ländern des globalen Südens in direkten Gesprächen auf die Dringlichkeit der Thematik hinzuweisen.

Wichtig ist Klarheit in der Kommunikation. Etwa indem klar gemacht wird, dass hohe Kinderzahlen nicht mehr Reichtum, sondern im Gegenteil noch mehr Armut und noch mehr Unterentwicklung bedeuten. Und dass es nicht nur „böse Mächte von außen“ sind, die für Unterentwicklung und Perspektivlosigkeit in diesen Regionen sorgen, sondern dass es auch einen substanziellen hausgemachten Anteil daran gibt, und dass dazu zuvorderst ein hohes Bevölkerungswachstum zählt.

Darüber hinaus gibt es vielfache Möglichkeiten, das Problem des Bevölkerungswachstums auf verschiedenen Ebenen sichtbar zu machen: an der Basis durch NGOs auf lokaler, regionaler und globaler Ebene; im Rahmen von UN-Organisationen durch internationale Konferenzen, auf denen entsprechende Initiativen, Maßnahmen und ermutigende Beispiele vorgestellt werden, etc. Es muss vor allem klar herausgestellt werden, dass das Engagement für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und eine gesunde Umwelt eng mit einer vernünftigen Bevölkerungspolitik zusammenhängt.

2. Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit

Ein sehr wirksamer Ansatzpunkt stellt aus unserer Sicht eine Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit dar.

Politiker aus Ländern des „Nordens“ können anbieten, Programme mit bevölkerungs- politischen Inhalten in den Problemländern finanziell zu unterstützen.

Gelder für Entwicklungshilfe bzw. Entwicklungszusammenarbeit können in Abhängigkeit von der Existenz einer Bevölkerungspolitik beziehungsweise in Abhängigkeit von der Effektivität der eventuell existierenden Bevölkerungspolitik vergeben werden. Bevölkerungspolitische Maßnahmen (siehe Punkt 3) selbst brauchen Finanzierung, die vermutlich zu einem großen Teil von außen kommen muss. Solche zweckgebundenen Mittel würden zu den effektivsten Arten der Entwicklungshilfe gehören. Auch der Aufbau von Kontroll-, Unterstützungs- und Beratungsmechanismen braucht finanzielle Unterstützung von außen.

3. Bevölkerungspolitische Maßnahmen

Es gibt eine ganze Reihe nicht-repressiver Maßnahmen, die auch in verschiedenen Ländern bereits erprobt wurden.

Dazu zählen:

  • Aufklärungs- und Bildungsprogramme, insbesondere für junge Frauen und Mädchen
  • „positive Campaigning“, z.B. Werbung für Kleinfamilien (für 2-Kind-Familien), wie das auch in Indien in den 1970er-Jahren gemacht wurde
  • Gratis-Zur-Verfügungstellung von Verhütungsmitteln
  • finanzielle Anreize bei freiwilligen Sterilisationen (von Männern und Frauen)
  • staatliche Garantie einer Altersversorgung für die ärmeren Schichten, die an den Verzicht auf Kinder über zwei hinaus gekoppelt ist
  • Aufbau von Beratungs- und Förderstrukturen als Teil der Entwicklungszusammenarbeit (siehe auch Punkt 2).

Wer wir sind

Initiative Bevölkerungspolitik

Dr. Bruno Kern, geb. 1958. Autor, Übersetzer, Vortragender. Veröffentlichte u.a. „Das Märchen vom grünen Wachstum“ (2019). Lebt und arbeitet in Mainz.

Saral Sarkar, geb. 1936 in Westbengalen (Indien), lebte bis 1982 in Indien, danach in Köln. Autor und Aktivist. Veröffentlichte u.a. „Eco-Socialism or Eco-Capitalism. A Critical Analysis of Humanity's Fundamental Choices“ (1999).

Dr. Ernst Schriefl, geb. 1969. Mitarbeiter eines Technischen Büros für Bauphysik und Energieeffizienz. Daneben auch publizistisch tätig (u.a. Buch „Öko-Bilanz“, 2021). Lebt und arbeitet in Wien.


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