Hier geht es mir nicht darum, den ganzen Artikel von Davidsson zu rezensieren, sondern nur um die Frage, ob der Gebrauch der Begriffe Sozialismus und Kommunismus als Bezeichnung unserer idealen Gesellschaft in strategischer Hinsicht sinnvoll ist. Davidsson selbst schreibt, er möchte "traditionelle Begriffe der Linken, insbesondere Sozialismus und Kommunismus, aussparen". Ein Grund dafür beruhe "auf einer schlicht pragmatischen Erwägung: Diese Begriffe … wirken auf beträchtliche Teile der heutigen Bevölkerung abstoßend." Sie seien "politisch negativ besetzt".
Ähnliches habe ich auch von zwei amerikanischen Freunden gehört. Einer von ihnen sagte: "Saral, you are draging the anchor" (freie Übersetzung: du bremst dich selbst wenn du den Sozialismus als dein Ziel nennst).
Ich weiß nicht, wie intensiv Davidsson sich mit den neueren Entwicklungen in der Welt beschäftigt. Ich vermute, er tut es gar nicht. Schon die Annahme, der Begriff Sozialismus wirke "auf beträchtliche Teile der heutigen Bevölkerung abstoßend", ist falsch. Schon 2004 stellte in Deutschland das Allensbacher Institut für Demoskopie fest, dass rund 60 Prozent der Deutschen den Sozialismus für eine gute Idee hielten, deren Implementierung leider schlecht verlaufen war. Dabei stand Westdeutschland jahrzehntelang an der vordersten Front des Antikommunismus. Das Allensbacher Institut fragt seit vielen Jahren die deutsche Bevölkerung jährlich, was sie vom Sozialismus halte. Ich weiß nicht, wie der Wert für 2013 ist. Ich vermute, ein größerer Prozentsatz der Deutschen würde heute die gleiche Antwort ankreuzen. Oder sie würden vielleicht antworten: Sozialismus? Eine schöne Utopie, hat aber keine Chance. Seit dem Ausbruch der großen Krise im Jahre 2008 dürfte der Prozentsatz noch höher geworden sein.
Aber politisch interessierte Menschen kümmern sich hoffentlich nicht nur um Deutschland, sondern um die ganze Welt. Wir müssten die Allensbacher Frage auch in den Krisenländern wie Griechenland, Spanien, Portugal usw. stellen. In Griechenland ist die radikallinke Partei SYRIZA sehr stark geworden. Mehr kann ich momentan nicht sagen. Aber in Latein-Amerika – besonders in Venezuela, Bolivien und Ecuador – ist der Begriff Sozialismus (des 21. Jahrhunderts) sehr viel populärer, sogar mehrheitsfähig. Ich hörte neulich im Fernsehen, viele Leute in Portugal meinen, das Land brauche wieder eine sozialistische Revolution, eine wie im Jahre 1974.
Sicher findet ein Teil der Weltbevölkerung (besonders in den USA, aber auch in Kanada, Japan Deutschland usw.) – allgemein gesprochen, die Reichen und die Superreichen – den Begriff Sozialismus abstoßend. Aber wir dürfen deswegen einen guten und sinnvollen Begriff nicht ganz fallen lassen.
Wir sollen den Begriff nicht bloß aus Gründen der Traditionstreue oder zum Trotz oder aus Sturheit weiterbenutzen. Nein, wir sollen den Begriff Sozialismus benutzen, weil er sinnvoll ist, weil er am besten ausdrückt, was wir erreichen wollen. Davidsson schreibt, der zweite Grund dafür, dass er die Bezeichnung einer post-kapitalistischen Gesellschaft als sozialistisch oder kommunistisch ablehnt, sei, dass "die Begriffe … in erster Linie auf Gerechtigkeit hinweisen". Gerechtigkeit sei "zwar eine der Voraussetzungen für eine post-kapitalistische Gesellschaft, aber nicht die einzige."
Hier wird klar, dass Davidsson, das Wesen des Sozialismus und Kommunismus nicht verstanden hat. Man kann es nicht auf Gerechtigkeit reduzieren. Wenn der Sozialismus in erster Linie Gerechtigkeit wäre – ein sehr vager Begriff – dann könnte man bei einem Mindestlohn von, sagen wir, 12 Euro netto pro Stunde und einer Mindestrente von 1500 Euro netto meinen, in einer sozialistischen Gesellschaft zu leben.
Nein, beim Sozialismus ist viel wichtiger, dass (1) die assoziierten Mitglieder der Gesellschaft Eigentümer aller Produktionsmittel sind und dass (2) Produktion und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen nach einem von den Gesellschaftsmitgliedern bestimmten Plan organisiert werden und nicht unsichtbaren Kräften der Märkte und dem Profitmotiv der Wirtschaftsakteure überlassen bleiben. Ob Löhne, Rechte und Pflichten absolut gleich sein müssen, oder ob sie ein bisschen unterschiedlich und flexibel sein dürfen, dass können die assoziierten Gesellschaftsmitglieder selbst entscheiden.
Die regierenden und regieren wollenden "sozialistischen", sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien der Welt haben zwar den Begriff Sozialismus massiv missbraucht und bis zur Unkenntlichkeit verändert, was einmal einen britischen Theoretiker veranlasste zu sagen: "Der Sozialismus ist ein Hut, der seine Form verloren hat, weil ihn zu viele Leute getragen haben." Aber es gibt immer noch viele Sozialisten und kleinere sozialistischen Parteien und Gruppen, die an der oben aufgezeigten ursprünglichen Bedeutung des Terminus festhalten, sodass es in strategischer Hinsicht immer noch ratsamer ist, den Terminus Sozialismus zu benutzen, wenn man klar machen will, dass man den Kapitalismus überwinden will und ihn durch ein Gesellschaftssystem ersetzen will, dessen Wesen die zwei oben genannten Elemente ausmachen. Verglichen zum Terminus Sozialismus ist der von Davidsson vorgeschlagene Terminus menschliche Gesellschaft zu vage.
Können wir also bei unserer politischen Arbeit den Begriff Sozialismus problemlos benutzen? Nein. Der ist falsch für unsere Aufgabe in der heutigen Welt. Wie Davidsson zu Recht kritisiert, fehlt in diesem Begriff die inhaltliche Aussage, dass das Wirtschaften der Zukunft unbedingt nachhaltig sein muss Ich und viele andere Sozialisten haben verstanden, dass der Begriff Sozialismus unzeitgemäß ist. Unverändert, vertritt er auch einen naturzerstörerischen Wachstumswahn. Darum benutze ich seit den 1980er Jahren den Begriff Ökosozialismus. Viele andere Sozialisten tun das spätestens seit Anfang dieses Jahrhunderts. In diesem Begriff deutet der zweite Teil darauf hin, dass wir Antikapitalisten sind, dass wir eine egalitäre Gesellschaft anstreben. Der erste Teil besagt, dass wir auch gegen den Wachstumswahn sind – gegen den kapitalistischen sowie den sozialistischen Wachstumswahn.
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