Dienstag, 23. April 2013

Grünes Wachstum – die Illusion lebt noch

Dem Greenhouse Infopool bin ich sehr dankbar dafür, dass es mir hilft, mich über die aktuellen politischen Debatten und Kontroversen auf dem Laufenden zu halten. So kann ich mir den Kauf und die zeitaufwändige Lektüre von ganzen Büchern ersparen, in denen nichts Neues steht außer vielleicht aktuelle Daten zu alten Erkenntnissen und Positionen.
    Neulich erhielt ich vom Greenhouse zwei Artikel. Der eine ist ein Gespräch mit Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, der neulich ein Buch mit dem Titel „Intelligent wachsen“ veröffentlicht hat (taz, 20.04.13). Der andere eine Rezension des Buches "Selbst Denken" von Prof. Harald Welzer, Sozialpsychologe und Gründer der Stiftung "Futur Zwei" (Die Zeit, 24.03.13). Nacheinander gelesen, wirken sie wie eine Debatte.
    Das ist eigentlich eine sehr alte Debatte. Junge Aktivisten, die davon nichts mitbekommen haben, weil sie in den 70er und 80er Jahren entweder noch nicht geboren oder zu jung waren, sollten die Lektüre der alten grundlegenden Texte nachholen. Dann würden sie viel besser verstehen, was eigentlich die Crux der Kontroverse ist. Polemische Bücher von Berufspolitikern wie Fücks oder moralische Appelle von guten Leuten helfen dabei wenig.
    Die Kernfragen der Kontroverse, deren Klärung das Ziel der Erkenntnissuchenden sein sollten, seien hier formuliert:
(1) Ist grünes/nachhaltiges Wirtschaftswachstum überhaupt möglich? Wenn so ein Wachstum in der Gegenwart in einigen Ländern wie Deutschland möglich ist, ist das auch kontinuierlich und in allen Ländern der Welt möglich?
(2) Sind die sog. erneuerbaren Energien wirklich erneuerbar? Wenn ja, können sie künftig den ganzen Energiebedarf der wachsenden Weltbevölkerung decken.
(3) Ist Entkopplung von Wohlstand und Ressourcenverbrauch (Effizienzrevolution) möglich? Wenn ja, ist sie unbegrenzt möglich?
(4) Ist hundertprozentiges Recycling (Wiederverwertung) möglich? Wenn ja, ist es zu vernünftigen Kosten möglich?
(5) Ist es möglich, dass bis 2050 9 Milliarden Menschen einen grünen Wohlstand genießen?
(6) Wird mit der Durchsetzung des sog. grünen Wachstums der Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie endgültig aufgehoben sein?
(7) Ist weltweiter Wohlstand überhaupt möglich? Und das ohne Wirtschaftswachstum? Wenn ja, muss man unter "Wohlstand" etwas anderes verstehen, als das, was wir heute darunter verstehen?
(8) Was ist zu verstehen unter "Abkehr vom Wachstum" oder "Postwachstumsökonomie"? Soll eine solche Ökonomie nur aufhören, weiter zu wachsen, und auf dem heutigen Niveau stehen bleiben? Oder muss sie zu einem niedrigen Niveau schrumpfen, um wirklich nachhaltig zu sein?
(9) Ist das Ziel der angestrebten Transformation – sei es eine Postwachstumsökonomie oder grünes Wachstum – im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung erreichbar?
    Ich habe schon in den 80er Jahren, als ich noch ein Mitglied der Grünen war, diese Fragen ernst genommen und die mir damals verfügbare Literatur darüber gelesen. Ich musste dann auf alle diese Fragen, außer Nr. 8, mit Nein antworten, und die Nr. 8 mit "Schrumpfen". Meine Erörterungen über diese Fragen stehen in meinem Buch Die nachhaltige Gesellschaft, wo auch eine Literaturliste zu finden ist.
    Für politische Berufsoptimisten sind das alles längst keine Fragen mehr. Parteigrüne haben sehr früh erkannt, dass sie mit Parolen wie grünem Wachstum bei Wahlkämpfen unschlagbar sind (1987 lautete die Parole "Umbau der Industriegesellschaft). Sie haben in der letzten Zeit auch große Wahlsiege erzielt. Indes sind neulich etliche große, ehemals höchst erfolgreiche Photovoltaik-Firmen in Deutschland und den USA pleite gegangen.
    Ehrliche Optimisten, jene, die keine parteipolitische Ambitionen hegen, müssten über den Grund dieser Pleiten tief nachdenken. Denn die Energiefrage ist die Quintessenz der Kontroverse. Grünes Wachstum, wie Fücks in dem Gespräch sinngemäß sagte, ist nur dann grünes Wachstum, wenn es auf erneuerbaren Energien [und Materialien] basiert. Damit steht oder fällt die Vision einer grünen Industriegesellschaft, eines grünen Kapitalismus.
    Die "erneuerbaren" Energien sind machbar, aber sind sie auch lebensfähig? Diese Frage erörterte Nicholas Georgescu-Roegen schon 1978. Seine Antwort lautete Nein. Seine Argumentation können Interessierte in seinem unten angegebenen Aufsatz nachlesen (oder in meinem oben genannten Buch). In den seitdem vergangenen 35 Jahren konnten uns die einschlägigen Industrien nicht überzeugen, dass sie lebensfähig sind. Denn sie brauchen immer noch die konventionellen Energien, wie ein Parasit den Wirt braucht: Die Photovoltaik-Module, die Windräder usw. werden ja immer noch in Fabriken hergestellt, die mit konventionellen Energien arbeiten. Und sie brauchen immer noch Subventionen, die in der Gesamtwirtschaft erarbeitet werden, die größtenteils mit fossiler und atomarer Energie arbeitet. Es ist auch nicht sicher, dass die "erneuerbare"-Energie-Technologien mehr (oder genügend mehr) Energie produzieren als, was sie verbrauchen (die große Ausnahme ist Wasserkraft).
    Die Pleiten der großen deutschen Solarmodul-Hersteller haben die Sprecher der Industrie damit erklärt, dass die chinesischen Hersteller dank mancherlei Subventionen vom Staat ihre Produkte zu Dumpingpreisen verkaufen können. Das mag stimmen. Aber dann entsteht die Frage: Wieso brauchen auch die chinesischen Hersteller staatliche Subventionen, obwohl die Löhne in China sehr viel niedriger sind als in Deutschland und obwohl da kaum Sozialversicherungsabgaben gezahlt werden müssen? Das ist doch noch ein Beweis dafür, dass die Photovoltaiktechnologie nicht lebensfähig ist.
    Der Kapitalismus mag die gegenwärtige Krise überwinden können. Es mag in Europa wieder etwas Wirtschaftswachstum geben. Aber das wird weder grüner Kapitalismus noch grünes Wachstum sein. Das haben die Europa-Parlamentarier begriffen. Darum haben sie die Verschärfung des Handels mit Emissionszertifikaten verworfen.


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Georgescu-Roegen, Nicholas (1978) "Technology Assessment: The Case of the Direct Use of Solar Energy", in Atlantic Economic Journal, December.

3 Kommentare:

  1. Oh, wei das alte Steckenpferd von Saral, daß Solartechnik nicht gut sei.

    Erneuerbare Energie ist selbstverständlich ohne Subvention lebensfähig. Die alten Wind- und Wassermühlen wurden ja auch nicht subventioniert. Es gibt viel mehr als Photovoltaik, aber das will unser bockiger Saral nicht einsehen.

    Ich habe gerade in der Tarantel Nr. 60 dazu etwas veröffentlicht. Aus den Flegeljahren der Biogastechnik, als man noch selbst und billig gebaut hat.

    Zehntausende Frauen in Indien und Nepal freuen sich über Biogas, weil sie nicht mehr in den rauchenden Schwaden von getrocknetem Kuhdung kochen müssen. Die Augenkrankheiten sind zurückgegangen. Allmählich werden die komplexen Wirkungen der Biogastechnik anerkannt: Energie, Dünger, Hygiene.

    Die Payback-Rate, also die Zeit, bis ein System für erneuerbare Energien die vorausgabte Energie wieder eingespielt hat, ist beiweitem nicht so lang, wie unterstellt wird. Vor allem, wenn man gebrauchte Teile verwendet. Man kann Solarkonzentratoren aus alten Parabolantennen und CDs bauen. Nur das will beispielsweise die Bundesregierung nicht.

    Man sollte sich als Linker nicht bei den Großkonzernen schlau machen, sondern bei den Graswurzel-Bewegungen, die nicht tot zu bekommen sind.

    Roland Schnell, Berlin, DE
    esperanto@berlin.de

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    1. Ob Solartechnik für Stromerzeugung oder Heizung gut ist oder nicht, dass ist ja wohl nicht die Frage. Selbstverständlich kann man mit Photovoltaikanlagen 'Strom' erzeugen und ... .
      Mir ist keine 'Wirtschaftlichkeitsberechnung' (payback?) bekannt, die ohne offene oder versteckte Subventionen auskommt. Durch die EEG-Umlage bezahlen die Nicht-Photovoltaik-Anlagenbesitzer (ein gutes deutsches Wortungetüm!) die Wirtschaftlichkeit der Anlagen.
      Auch in diesem Falle ist grünes Wachstum nicht möglich.

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  2. "Wird mit der Durchsetzung des sog. grünen Wachstums der Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie endgültig aufgehoben sein?"

    Natürlich nicht, aber gerade deshalb muss das Menschenmögliche in diese Richtung geschehen. Sozialismus, verstanden als weltweiter sozialer Prozess, der menschliches Wollen, Tun (also auch Können) und Bedenken IN RICHTUNG eines Miteinanders entwickelt und verallgemeinert, das auf Basis eines weltgemeinschaftlichen Nachhaltigkeitsmanagements funktioniert, also auf Basis weltgemeinschaftlicher (Mit-)Bestimmung der Produktionszwecke und -mittel und deren sozialen bzw. ökologischen Voraussetzungen und Wirkungen, braucht eben auch Wachstum einer entsprechenden materiellen Basis.

    Ohne die kann der Widerspruch zwischen Produktivkraftentwicklung und dazu nicht mehr passenden Produktionsverhältnissen nicht zum Tanzen gebracht werden.

    Kommunismus kommt gewiss nicht als Ausgeburt einer vom sündigen (Öko-) Kapitalismus ganz unbefleckten Empfängnis zur Welt.

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