Donnerstag, 18. Juli 2013

Demokratie ist kein Allheilmittel

 In Ägypten ist die Armee wieder an der Macht. Der Arabische Frühling scheint jetzt restlos vorbei zu sein.
    Aber auch vor dem Militärputsch in Kairo ist die Lage nicht gerade frühlingshaft gewesen. In Tunesien regiert von Anfang an eine islamistische Partei, die vom Volk gewählt wurde; in Ägypten wurde vor einem Jahr der Islamist Mursi zum Präsidenten gewählt; in Libyen kann die gewählte Regierung die bewaffneten Milizen nicht kontrollieren; in Syrien tobt der Bürgerkrieg schon seit über zwei Jahren.
    Die Erwartungen waren groß. Aber die gewählten Regierungen haben das Volk enttäuscht. Am meisten enttäuscht sind aber die gebildeten und westlich orientierten jungen Leute, die die Rebellion initiiert hatten. Sie jagten zwar die Diktatoren weg, aber es waren die bei ihnen sehr unbeliebten Islamisten, die die Macht eroberten. In Syrien, wo der Diktator noch nicht weg ist, reißen die islamistischen Kämpfer die Führung der Rebellion an sich.
    Das muss man verstehen. Abgesehen davon, dass die Menschen in den genannten Ländern in ihrer großen Mehrheit mehr oder weniger fromme Muslime sind, waren es doch die Muslimbrüder und sonstige islamistische Gruppierungen (in Tunesien die Leute der En-Nahda Partei), die vor dem Ausbruch der jüngsten Rebellionen gegen die Diktatoren opponiert hatten. Sie waren es auch, die den Armen in Notsituation geholfen hatten. Währenddem hatten die meisten gebildeten, säkularen und westlich orientierten Leute mit den Herrschern arrangiert. So war es eigentlich kein Wunder, dass bei den Wahlen die Islamisten siegten, und nicht die Säkularen. Aber das Volk, inklusive der Wähler der Islamisten, hatten von den demokratisch gewählten Regierenden viel mehr erwartet als nur eine islamistische Regierung.
    Ich habe oft Leute einen berühmten Spruch vom ehemaligen US-Präsidenten Clinton zitieren hören. Während eines Wahlkampfes sagte er: "It is the economy, stupid!". Er hatte recht. Hauptsächlich die Lage der Wirtschaft entscheidet über die Karriere eines Präsidenten bzw. eines Präsidentschaftskandidaten. Auch Brecht schrieb: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral." So war es auch im Falle vom Sturz des Präsidenten Mursi.
    Die Lage der ägyptischen Wirtschaft war schon vor 2011 schlecht. Sie wurde während der Rebellion, gerade wegen des Chaos und der Konflikte immer schlechter. Nach einem Bericht des Spiegels (Nr.27/2013) wurden trotz Subventionen Brot, Benzin und Gas immer teurer. Die Arbeitslosigkeit stieg. Im Juni dieses Jahres betrug die offizielle Rate zwölf Prozent. Fast jeder zweite Ägypter lebt unterhalb der Armutsgrenze von zwei Dollar pro Tag. Die Bevölkerung wächst kontinuierlich. Es fehlen Jobs für junge Leute. Um ausreichend Jobs zu schaffen, müsste die Wirtschaft jährlich um acht Prozent steigen. Zuletzt wuchs sie aber um weniger als zwei Prozent. Die Zahl der Touristen fiel drastisch. Der ägyptische Pfund befindet sich im freien Fall. Nach einem anderen Bericht herrschte ein dramatischer Mangel an Dieselkraftstoff. Es gab häufige Stromausfälle. Nach diesem Bericht kam nicht nur die Versorgung und die Landwirtschaft zum Erliegen, das gesamte Leben trieb dem Stillstand entgegen.
    Es mag stimmen, dass zum Teil Sabotage-Aktivitäten der Getreuen des gestürzten Mubarak-Regimes die dramatische Verschlechterung der Wirtschaftslage bewirkt haben. Aber auch sonst wäre die Lage wegen der weltweiten Krise und des Bevölkerungswachstums immer schlechter geworden. Schließlich ist die Lage auch in Griechenland, Portugal, Spanien, Irland etc. schlecht geworden – ohne Sabotage-Aktionen der Opposition.
    Sich in einer solch schlimmen Situation primär um die formale Demokratie zu sorgen, wie es manche euro-amerikanischen Politiker und Publizisten tun, ist Unfug. Die Mehrheit der Ägypter – unter ihnen viele Mursi-Wähler – waren nicht bereit, ihr Leben zerstören zu lassen, bloß weil Mursi vor einem Jahr gewählt wurde. Man kann es ihnen nicht übel nehmen, wenn sie einen anderen Weg aus der Misere probieren wollen. In ähnlich schlimmer Lage haben vor nicht allzu langer Zeit auch die Argentinier und Bolivianer ihre gewählten Präsidenten verjagt. Demokratie verliert ihren Sinn, wenn stures Festhalten an ihr das Leben der Menschen zerstört, oder wenn das Leben der Menschen zerstört wird, weil die gewählten Regierenden ihre Treue zur herrschenden Wirtschaftsordnung für wichtiger halten als alles andere, wie es zur Zeit in Griechenland der Fall ist.
    Viele Ägypter sagen, sie wollen eine zweite Chance, eine "wirkliche Demokratie" aufzubauen zu beginnen – eine mit garantierten gleichen Rechten für alle und Trennung von Religion und Politik. Diesem ihrem Wunsch müsste man entgegenkommen. Das Überleben einer Nation ist wichtiger als die Einhaltung der Regeln der formalen Demokratie, die ja nicht mehr ist als eine Legitimationsform der politischen Herrschaft. Ich denke allerdings, sie sollten, alle sollten, in der heutigen Lage der Welt ihr Hauptaugenmerk auf die Wirtschaftsordnung richten und nicht ausschließlich auf die politische Ordnung. Im Volksmund heißt es, "Geld regiert die Welt". Besser ausgedrückt, es ist die heutige Wirtschaftsordnung, die die Welt regiert, die unser Leben größtenteils bestimmt, eigentlich zerstört. Dann ist es wichtig, Fukuyamas These vom Ende der Geschichte abzulehnen und dringend nach Alternativen zum globalisierten neoliberalen Kapitalismus und zur westlichen formalen Demokratie zu suchen. Denn im Kapitalismus und in westlicher formaler Demokratie sind gleiche Rechte für alle nicht möglich. Und es ist auch sehr wichtig, dringend und ernsthaft Gedanken über die Tragfähigkeit der Erde und des eigenen Landes zu machen.

1 Kommentar:

  1. Den Menschen ist es wohl mehr oder weniger gleichgültig, unter welchem Regime sie lebe, Hauptsache, es geht ihnen 'gut'. Solange es den Deutschen mehrheitlich unter Hitler 'gut' ging, hatten sie mindestens nichts gegen das Regime einzuwenden. Das gilt auch für die Vergangenheit. Und wenn ein Volk ein Volk der Räuber war und damit 'gut' lebten, folgten sie ihrem Räuberhauptmann.

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