Diejenigen, die als Erwachsene die 1960er Jahre erlebt haben, dürften die Stimmung jenes Jahrzehnts noch in Erinnerung haben. In den Industrieländern stieg der Wohlstand Jahr für Jahr, die Arbeitslosigkeit tendierte gegen null, Wirtschaftskrisen hielt man für ein endgültig überwundenes Übel der Geschichte. Mit staatlicher Finanzhilfe gingen auch Arbeiter- und Bauernkinder auf die Uni. Sie machten sogar Weltreisen. Es wurden überall Volkshochschulen eröffnet, es gab bezahlten Bildungsurlaub und Kulturförderung. Eigentlich schien fast alles möglich. 1957 kreiste der Sputnik um die erde, 1969 landete ein Mensch auf dem Mond. Kurz, es war eine Ära des Überschwangs.
In manchen Ländern der Dritten Welt herrschte zur gleichen Zeit eine Aufbruchstimmung. Sie hatten kurz vorher das Joch der kolonialen Herrschaft abgeschüttelt. Nichts schien mehr im Wege zu stehen, die Ära der Entwicklung konnte beginnen. Der Aufstieg schien nur eine Frage der Zeit zu sein.
Ich habe diese Zeit als junger Mensch erlebt – sowohl in meiner Heimat Indien als auch in Deutschland. Ich kam für eine Deutschlehrerausbildung nach München. Meine zukünftige Frau ging als Deutschlehrerin nach Indien. Als Student in Deutschland hörte ich auf Versammlungen oft den Ausdruck "Brücken bauen". Da war auch die Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Und trotz des Kalten Krieges und ein paar anderer Kriege hier und da schienen Entwicklung und Wohlstand in der ganzen Welt möglich. Mit der Grünen Revolution schien auch der Hunger in den armen Ländern besiegbar.
Inzwischen ist allerorten der Überschwang verflogen. Es gibt die permanente Gefahr von Finanz- und Wirtschaftskrisen. Banken gehen pleite. Hohe Arbeitslosigkeit dauert hartnäckig an. In der EU rücken einige Staatspleiten bedrohlich näher. Der Sozialstaat wird abgebaut. Studenten müssen Studiengebühren zahlen. Was Menschen betrifft, redet niemand mehr von Brücken bauen. Im Gegenteil, man errichtet Barrieren. Während Mitte der 1960er Jahre deutsche Politiker den millionsten Gastarbeiter mit einem Motorradgeschenk begrüßten, wird heute verzweifelt versucht, sich die jungen Arbeitsuchenden aus der Dritten Welt vom Hals zu schaffen.
Was ist denn in der Zwischenzeit geschehen? Die Grenzen des Wachstums, von denen in den frühen 1970er Jahren die Rede war, ist spürbar geworden. Und selbst etablierte Ökonomen geben zu, dass das Wachstum des Bruttoinlandprodukts nicht unbedingt Wachstum des Wohlstands bedeutet. Der renommierte Ökonom Paul Krugman (Nobelpreisträger) hat endlich kapiert, dass die Erde begrenzt ist. Er hat nämlich wahrgenommen, dass die Ölförderung nicht mehr steigen kann, obwohl die Ölpreise wieder steigen. Aus demselben Grund explodieren die Preise mancher Industriemetalle. Und die seltenen Erden werden auf dem Weltmarkt immer seltener.
Worauf es aber am meisten ankommt sind nicht Erdöl, die Industriemetalle oder die seltenen Erden, sondern die primitivste aller Ressourcen, nämlich fruchtbares Land, und die Lebensmittelpreise. Die Menschen müssen jeden Tag dreimal essen; erst dann können sie an einen Handy- oder Autokauf denken. Seit einigen Jahren erleben wir regelmäßig gewalttätige Aufruhre wegen steigender Lebensmittelpreise: 2007 in Mexiko (der sog. Tortilla-Aufruhr), 2008 in Haiti, 2010 in Mosambik. Heute stehen wir mitten in einer globalen Nahrungsmittelkrise, in der zweiten in drei Jahren. Und die aktuellen Revolten in den arabischen Ländern haben ursprünglich sehr viel mit steigenden Nahrungsmittelpreisen zu tun gehabt.
Aber, wie bei Erdöl, kann trotz steigender Preise Nahrungsmittelproduktion nicht mehr erhöht werden. Der wichtigste Grund dafür ist, dass fruchtbares Land eine begrenzte Ressource ist. Die große Schar von arbeitslosen jungen Menschen können nicht Bauern werden, selbst wenn sie es wollten. Zwar kann die Fläche, die heute für Biosprit- oder Futtermittelproduktion benutzt wird, zur Produktion von Grundnahrungsmittel umgewidmet werden. Aber die verfügbare Gesamtfläche schrumpft ständig. Teile davon werden wachsenden Städten und expandierenden Industrien übereignet, Andere Teile werden von sich ausdehnenden Wüsten verschlungen, und weitere Teile gehen durch die natürlichen Erosionsprozesse verloren. Der Traum von Verwandlung der Wüsten in blühende Gärten ist längst ausgeträumt. Und Industriebrachen können schwer rekultiviert werden.
Schlaue Finanzhaie investieren seit einigen Jahren massiv in Ackerland. Sie spekulieren auf dessen unaufhörlich steigende Preise. Allein im Jahre 2010 haben Fondsgesellschaften weltweit 45 Millionen Hektar Farmland aufgekauft. Auch staatliche Vermögensfonds aus Ländern wie China, Südkorea, Japan, Saudi-Arabien und den Arabischen Emiraten kontrollieren inzwischen sieben Millionen Hektar. Sie haben verstanden, was der Menschheit kostbarstes Gut ist.
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