Seitdem Hugo Chavez und Evo Morales ihr Vorhaben angekündigt haben, in ihrem jeweiligen Land eine sozialistische Gesellschaftsordnung – "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" genannt – aufzubauen, schauen alle Linken der Welt interessiert auf ihre Politik. Ich auch.
Die Politik von Chavez finde ich weniger interessant. Die üppigen Einnahmen aus Ölverkauf zugunsten der unteren Schichten zu verteilen, kann nur so lange gut gehen, wie die Ölvorkommen nicht erschöpft sind. Die sind aber erschöpflich. Das ist Petrosozialismus, der zweifellos absterben würde, wenn das Öl nicht mehr so reichlich fließt wie zur Zeit.
Glücklicherweise ist die bolivianische Konzeption des Sozialismus, trotz des gleichen Namens, sehr viel anders. Sie könnte auch Ökosozialismus genannt werden. Bolivien hat auch Öl und Gas, nicht aber soviel, dass auf deren Basis, durch Umverteilung der Exporteinnahmen von oben nach unten, eine kurzlebige sozialistische Gesellschaft aufgebaut werden könnte. Und das Land hat sehr viel Lithiumvorkommen. Es liegt unter den ausgedehnten Salzwüsten. Große Mengen von Lithium, das ein wichtiger Grundstoff für allerlei Batterien ist, können gewonnen und vermarktet werden, wenn die Autofahrer der Welt massenweise auf Elektroautos umsteigen. Aber, wenn der Strom für Hunderte von Millionen E-Autos von Kohlekraftwerken kommen soll, wäre das kein Gewinn für Pachamama, das bolivianische Wort für Mutter Erde. Und es sieht nicht so aus, dass erneuerbare Energien bald die konventionellen Energien ersetzen könnten.
Vielleicht haben die Indio-Führer Boliviens das verstanden. Der Außenminister des Landes, David Choquehuanca, sagte einer Gruppe von deutschen Journalisten: "Wir wollen nicht besser, sondern gut leben". Dieses Prinzip – gutes Leben statt Jagd nach Wohlstand – öffnet die Möglichkeit für einen neu konzipierten Sozialismus, nämlich Ökosozialismus. Choquehuanca sagte weiter: "Seit mehr als 500 Jahren … haben wir aufgehört, gut zu leben. Nun aber haben wir wieder zu uns gefunden, … wir sind wieder Menschen geworden, die nur den Gesetzen der Natur unterworfen sind."
Ich hoffe, die Führer von Bolivien haben verstanden, was uns die Gesetze der Natur bei diesen Fragen aufnötigen. Die große Mehrheit der Ökonomen der Welt, inklusive der deutschen, haben das nicht verstanden. Sie träumen immer noch vom Segen des exponentiellen Wachstums. Ich hoffe, dass die bolivianische Führung verstanden hat, dass auf einer begrenzten Erde unbegrenztes Wirtschaftswachstum nicht möglich ist, dass Pachamama unmöglich 9 Milliarden Menschen tragen kann, ohne viele andere Arten aus ihrem Schoß zu vertreiben, dass eine wachsende industrielle Ökonomie unvermeidlich die Mutter Erde vergiftet.
Aber das gemeine Volk von Bolivien hat diese Gesetze der Natur offensichtlich noch nicht ganz verstanden. Darum gab es gewalttätige Proteste gegen die Entscheidung der Regierung, Benzinpreise nicht mehr durch untragbare Subventionen niedrig zu halten. Darum musste Evo Morales einen Besuch seiner Heimatstadt abbrechen. Die dortigen Bergarbeiter hatten ihn nämlich aus Protest gegen die Verteuerung wichtiger Lebensmittel ausgebuht. Dabei sehen die Bergarbeiter von z. B. Potosi mit eigenen Augen, dass die Minen, in denen einst riesige Mengen von Silber und Zinn gewonnen werden konnten, fast erschöpft sind.
Dass der Begriff "gutes Leben" abgekoppelt werden muss von mehr Konsum, ist wirklich schwer zu vermitteln. Glücklicherweise bemüht sich die bolivianische Führung darum. Eine deutsche Journalistin berichtet, dass ein Provinzgouverneur sich selbst das Gehalt gekürzt hat: er nimmt 12.000 statt 20.000 Bolivianos. Mehr brauche er nicht, sagte er. Er wolle das gute Leben für seine Leute, Gerechtigkeit nach 500 Jahren Rassisnus. Das ist eine sehr verschiedenartige Konzeption vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts, eine sehr überzeugende.
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