Vor einiger Zeit hatte ich in diesem Blog einen
Artikel mit dem Titel "
Gedanken
über Belastbarkeit einer Gesellschaft und Systemübergang"
gepostet (27. August 2014). Neulich las ich im Internet eine Debatte über das
gleiche Thema, die aus zwei Artikeln bestand: Ted Trainer (2014)
veröffentlichte eine sympathische Kritik an der
Transition Town Movement (im Folgenden einfach als
Transition bezeichnet, kursiv und T groß
geschrieben). Bald darauf veröffentlichte Rob Hopkins (2014a), die prominenteste
Person in dieser Bewegung, eine Replik und Verteidigung von
Transition. Zusätzlich zu dem, was ich im
oben genannten Blog-Post schrieb (was ich hier nicht wiederholen werde), möchte
ich einige Gedanken zu dieser Debatte äußern – in der Hoffnung, einige Fragen
klären zu helfen. Da Ted und ich uns weitgehend über die zur Debatte stehenden Fragen
einig sind, konzentriere ich mich hier auf die Erwiderung von Hopkins. (Alle
Betonungen mit Kursivdruck sind von mir.)
Wenn Leser von und Teilnehmer an dieser Diskussion Fortschritte bei der
Suche nach der richtigen Strategie für den Übergang zu einer (allgemein
gesprochen) besseren Welt machen wollen, dann ist es notwendig, zunächst Fehler
in unserem Verständnis der gegenwärtigen Weltlage zu korrigieren, Widersprüche
in unseren eigenen Positionen aufzuheben und, im Allgemeinen, Klarheit über die
debattierten Fragen zu schaffen. Wenn wir uns am Ende immer noch nicht einig
sind, dann wissen wir zumindest, bei genau welchen Punkten wir uns nicht einig sind.
Das wäre auch etwas Fortschritt
bei der Diskussion.
Unterschiedliche Ziele
Wenn zwei oder mehr Personen an einer
Strategiediskussion teilnehmen, dann muss man logischerweise annehmen, dass sie
ein gemeinsames Ziel verfolgen. Denn es ist sinnlos, eine gemeinsame Strategie
für unterschiedliche Ziele zu suchen.
Es ist klar, dass Hopkins und Trainer im Grunde unterschiedliche
langfristige Ziele verfolgen. Das ist auch der Grund, warum sie sich nicht über
die Strategiefrage einigen können. (Das schließt aber nicht aus, dass sie
Differenzen bei der Strategiefrage hätten, wenn sie ein völlig gemeinsames Ziel
verfolgten.) Das, was nach Trainer getan werden muss, wenn eine
"nachhaltige und gerechte Welt erreicht werden soll", hat mehrere
Elemente: der "Ressourcen[verbrauch] der reichen Länder und dessen ökologische
Auswirkungsraten" müssen „um so etwas wie 90% gesenkt werden"; die
Idee einer "Wachstumswirtschaft muss fallen gelassen werden“; „das BIP muss
auf einen kleinen Bruchteil der derzeitigen Werte reduziert werden"; "Marktkräfte
[d.h. der Kapitalismus] müssen davon abgehalten werden, über unser Schicksal zu
bestimmen", etc.
Dies sind die wichtigsten Punkte in Trainers Paket von langfristigen
Zielen. Hopkins sagt nicht, all das sei totaler Unsinn. Er findet sogar die
meisten Argumente von Trainer "ganz vernünftig". "Aber",
schreibt er, "es gibt keine Chance, dass all das geschehen wird, wenn wir nicht schon die verschiedenen Modelle präsentiert haben, die in
der Lage sind, die Dinge zu liefern, die
wir brauchen: Schulen, Jobs, Wohnungen usw." Hopkins schreibt auch: "Die Ambition von ‘Transition‘
geht dahin, sich wieder lokale Wirtschaften vorzustellen, ihren Fokus zu verlagern, modelhaft zu zeigen, wie das die
Ambitionen bezüglich öffentlicher Gesundheitsversorgung besser verwirklichen kann als das derzeitige Konzept, wie das mehr und bessere sinnvolle Lebensgrundlagen schaffen kann, gesündere Gemeinschaften schaffen kann, sicherere Investitionen schafft, die eine soziale Rendite“ anbieten". In alten Zeiten hießen all das
Entwicklung. Seit Mitte der 1980er Jahre werden sie nachhaltige Entwicklung genannt. Hopkins fügt jetzt hinzu, sie müssen
von der Gemeinschaft geführt werden.
Die Wörter "wenn nicht“ mag den Eindruck erwecken, dass Hopkins und
Transition könnten weiter gehen, nachdem sie diese kurzfristigen Ziele
erreicht haben, und dann kämen sie näher daran, Trainers langfristige Ziele zu teilen.
An einer Stelle schreibt Hopkins sogar etwas Ähnliches: Er kritisiert Trainer
für seine Annahme, "dass Bewegungen wie Transition [Trainer erwähnt auch die Ökodorf- und Permakulturbewegung]
nicht an tiefe Systemveränderung dächten". Aber er enttäuscht uns. Denn er
schreibt unter Bezugnahme auf seine im vorigen Absatz zitierten Ziele:
"Wir sind noch nicht da, aber das ist,
wohin wir gehen wollen." Das Wort "Ambition" und der Satz
"das ist, wohin wir gehen wollen" klingen nach einem Endziel. Sie
vermitteln den Eindruck, dass Hopkins und Transition
Trainers langfristiges Ziel –das heutige Wirtschaftssystem und die Marktkräfte
abzuschaffen – nicht teilen. Sie wollen nur den Fokus verlagern, die Dinge
"besser", "gesünder" und "sicherer" machen, als
sie heute sind. Sie wollen „mehr“ sinnvolle Lebensgrundlagen (sprich Jobs!)
schaffen. Das ist natürlich viel mehr als Gemeinschaftsgärten, aber es ist
nicht klar, inwiefern sie etwas anderes sind als "nachhaltige
Entwicklung" der 1980er Jahre. Nur eines ist klar; sie wollen ganz
bestimmt die wirtschaftliche Globalisierung überwinden, sie wollen die
Wirtschaft so lokal machen wie möglich.
Hopkins weiß, "dass wir in einer Welt mit vielen Grenzen [limits] leben", er weiß auch um den
Wachstumszwang des Kapitalismus. Aber ich habe bei ihm keine eindeutige Aussage gefunden, die besagt,
dass in den reichen Ländern Ressourcenverbrauch um 90% reduziert werden muss.
Er denkt an Investitionen und soziale
Rendite. In einem Interview, das er
einer deutschen Zeitschrift gab, sagt Hopkins (2014B):“… Wir haben ein
Forum für kommunales Unternehmertum ins Leben gerufen, in dem sich Menschen mit
nachhaltigen Geschäftsideen mit
möglichen Investoren und Förderern
treffen können.“ Er sagt in demselben Interview weiter: „…Aber wie groß muss
ein Unternehmen nun wirklich sein, damit es seinen Mitarbeitern den
Lebensunterhalt sichern und gleichzeitig Gewinne
für weitere kommunale Projekte erwirtschaften kann? Ich glaube nicht, dass wir
dafür Exportmärkte in China erschließen müssen oder überall auf der Welt
Franchise-Firmen gründen müssen"
Von all dem hat man den Eindruck, dass Hopkins und Transition, obwohl sie viele Dinge verändert sehen möchten, das Gesellschaftssystem nicht verändern
wollen. Aber Trainer strebt danach. Er denkt, nicht nur der Kapitalismus,
sondern auch die Industriegesellschaft muss beseitigt werden, um die Biosphäre
zu retten und eine nachhaltige und gerechte menschliche Gesellschaft zu
schaffen. Diese Perspektive ist für die meisten Menschen nicht nur
pessimistisch, sondern auch furchterregend, insbesondere für die Mittelschicht
der reichen Industrieländer. Inzwischen ist sie auch für die Mittelschicht von China,
Indien, Brasilien usw. furchterregend. Kein Wunder, dass Ernst Ulrich von
Weizsäcker 1992 in seiner Übergangsperspektive schrieb:
„Europäern,
Amerikanern und Japanern zu empfehlen, sich in Sack und Asche zu kleiden und
auf Wohlstand und Fortschritt zu verzichten, ist eine zum Scheitern verurteilte
Strategie. Also sollte die neue Wirtschaftsweise den Charakter eines ‘neuen Wohlstandsmodells‘ haben,
um politisch durchsetzbar zu sein.“ (1992: 14)
Die Veränderungen, die Hopkins herbeiführen will, sind auch seit den
frühen 1980er Jahren von früheren Generationen von Grünen und AktivistInnen der
sozialen Bewegungen gewünscht und angestrebt worden. Für ihre Perspektive wählten
sie Bezeichnungen wie "Umstrukturierung der Industriegesellschaft",
"nachhaltige Entwicklung", "nachhaltiges Wachstum",
"grünes Wachstum" und "grüner Kapitalismus".
Die langfristigen Ziele von Trainer und Hopkins sind also eindeutig unterschiedlich,
obwohl Trainer Transition unterstützt,
deren erklärte Ziele und Aktivitäten er aber falsch interpretiert, als nur unmittelbare, und sie darum für
ungenügend hält. Ich habe das Gefühl, dass Hopkins und Transition nicht weiter gehen wollen, weil sie Angst haben, auch nur
weiter zu denken, nämlich an radikalen Systemwandel.
Schließlich gehört die Mehrheit von ihnen, wie Hopkins (2014B) selbst
festgestellt hat, der Mittelschicht von Europa und Nordamerika, wo die Bewegung
sehr beliebt ist. Sie hätten viel zu verlieren, viel mehr als der
durchschnittliche Mittelschichts-Afrikaner oder -Inder, wenn das gegenwärtige Gesellschaftssystem
beseitigt werden sollte. Darum lieben es ihre Denker – abgesehen von einigen
wenigen ehrenwerten Ausnahmen wie Trainer – die Illusion zu hegen, alle
Probleme können durch weitere technologische Entwicklungen gelöst werden, etwa
durch Solar- und Windenergie, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung,
Steigerung der Ressourceneffizienz usw. Hopkins (2014B) findet das
Energiewende-Programm Deutschlands "inspirierend." Er denkt,
Solarenergie, Windenergie und lokale Energiekombinate machen die großen
Energiekonzerne überflüssig. Die bestehende Skepsis gegenüber erneuerbaren
Energien, die Trainer teilt, ist ihm offenbar unbekannt. Ganz bestimmt
unbekannt sind ihm Zweifel an der Lebensfähigkeit
von Solarenergietechnologien, insbesondere in den Schlechtwetter-Ländern wie
Großbritannien. Es mag ihm auch unbekannt sein, dass auch James Lovelock (Vater
der Gaia-Hypothese) nicht von Windenergie begeistert war und unterstützte daher
die Kernenergie.
Es gibt auch einen qualitativen Unterschied zwischen den jeweiligen
Perspektiven von Trainer und Hopkins. Die lokalen und kleinen Wirtschaften der Graswurzel-Gemeinschaften
Trainers würden in weiser Voraussicht entstehen, oder als Folge einer großen
Krise oder gar eines Zusammenbruchs der kapitalistisch-industriellen
Wirtschaften. Sie würden in einer anarchistisch-
sozialistischen Art und Weise geplant
und verwaltet werden. Hopkins möchte Wirtschaftsbetriebe lieber in
Gemeinschaftsbesitz übertragen. Aber für seine "boomenden, neuen, sozialen
Unternehmen", akzeptiert er den Kapitalismus (Investoren, Gewinne), wenn
auch einen von Globalisierung befreiten. Obwohl er sagt, dass er sich des dem
Kapitalismus innewohnenden Wachstumsimperativs bewusst ist, denkt er naiv, die
Investoren, die in lokale Unternehmen investieren würden, wären mit den mageren
Gewinnen zufrieden, die die letzteren erwirtschaften könnten. Jeder mit etwas
Geschichtskenntnis weiß, dass das Wirtschaftssystem unmittelbar vor dem Beginn
des Kapitalismus vorwiegend lokal, klein angelegt und in der Gesellschaft
eingebettet war. Aber mit dem Kapitalismus kam sein Wachstumsimperativ. Der monströse
globalisierte Kapitalismus, den wir heute sehen, ist das Ergebnis seiner
inhärenten Wachstumsdynamik. Ein modernes Beispiel zu geben, begannen die Solarstrombranche
und -bewegung mit der Konzeption einer lokalen, d.h. dezentralen,
Solarstromerzeugung auf Häuserdächern für den lokalen Verbrauch. Heute sehen
wir Projekte wie den Desertec
(riesige Solarkraftwerke in der Sahara, die, wenn fertig, 15% des gesamten
europäischen Strombedarfs decken soll) und den Wettbewerb zwischen europäischen
und chinesischen Solarpanel-Produzenten um größere Anteile des Weltmarktes.
Schließlich schreibt Hopkins auch Sätze, die den Leser verwirren. Es
scheint manchmal, als ob er und Transition
überhaupt kein klares Ziel verfolgen. Eines seiner Bücher ist betitelt The Power of Just Doing Stuff (etwa: Die Macht von Einfach-etwas-tun). Darin
zitiert er eine Teilnehmerin an Transition
mit den Worten: "Ich fühlte, ... dass es in meiner Stadt ... Leute gab,
die das Bedürfnis hatten, etwas zu verändern, genau wie ich. Ich dachte, das
war erstaunlich. ... Ich dachte, 'das ist es, wir können etwas tun. Wir können
tatsächlich etwas verändern.' " Das Wort "etwas" lässt mich
denken, irgendetwas Gutes ist genug für diese Person. Schließlich legten diese
Person und einige andere Menschen zusammen einen kleinen Gemeinschaftsgarten in
ihrer Stadt an. Natürlich kann niemand, nicht einmal der überzeugteste Kapitalist
in der Stadt, irgendwelche Einwände gegen einen kleinen Gemeinschaftsgarten
haben.
An einer Stelle schreibt Hopkins, er wolle „Menschen dazu befähigen, sich nach der Welt zu sehnen, die es notwendig ist zu schaffen“. An
einer anderen Stelle verwendet er die Worte "wo wir hingehen müssen." Und er schließt den Artikel mit den
Worten ab: "... führt zu der Veränderung,
die wir alle sehen wollen“. Die kursiv geschriebenen Worte lässt einen
denken, Hopkins hätte eine klare Vorstellung seiner langfristigen Ziele. Nein,
falsch. Denn er schreibt auch: Transition
"entwickelt sich weiter. Sie bleibt gegenüber neuen Ideen und Prozessen
offen, die mit Menschen arbeiten, um Fragen zu stellen und dann zu gestalten,
wohin der Prozess geht. Das wurde in dem Transition
Handbook bezeichnet als "lass es
gehen, wo es hin will". Und diese Unsicherheit gipfelt im letzten
Absatz, wo Hopkins schreibt: "Kommt
Zeit, kommt Rat (Time will tell)".
Solche Worte lassen erkennen, dass Hopkins noch nicht weiß, wo die Welt hingehen
muss. Es gibt da keine Spur eines
Versuchs, die gegenwärtige Weltlage objektiv und gründlich zu analysieren, und
deshalb auch keine Spur eines Versuchs, in Bezug auf die langfristigen Ziele
der Bewegung eine logische
Schlussfolgerung zu ziehen. Hopkins weiß nicht einmal, ob er und Transition das System reformieren oder
radikal verändern wollen. Er schreibt: "Es kann sein, dass die Zukunft zeigen
wird, dass Transition ein
reformistisches Projekt gewesen ist, das keine Gefahr für die
Verbraucher-kapitalistische Gesellschaft war. Wir werden sehen."
Das ist totale Verwirrung.
Unterschiedliche Strategien
Unterschiedliche langfristige Ziele
(im Fall von Hopkins eher das Fehlen eines klaren) führten Hopkins und Trainer zwangsläufig
dazu, unterschiedliche Strategien zu konzipieren. Auch in dieser Hinsicht
schreibt Hopkins widersprüchliche Dinge.
Wenn Transition nur ein
Reformprojekt ist, das versucht, die gegenwärtige Verbraucher-kapitalistische
Gesellschaft zu verbessern, dann ist es besser, den Begriff Transition nicht zu verwenden, denn er
suggeriert, zumindest in unserem Kontext, Übergang zu einem anderen
sozio-ökonomischen System, das das gegenwärtige ersetzt. Wie es auch genannt
werden mag, auch ein Reformprojekt ist legitim. Denn nicht alle Menschen sind
überzeugt, dass Systemwandel möglich ist, und viele sind davon überzeugt, dass
das derzeitige System verbessert und somit befähigt werden kann, die Probleme
zu lösen, die uns plagen. Aber wie macht man das am besten?
Hopkins macht zunächst einen Versuch zu erklären, „warum wir [das
schließt die grüne Linke ein] den Kampf gegen den Klimawandel so katastrophal
verlieren“. Er betont einen von mehreren Faktoren: Der ist "die Falle, in
die einige auf der grünen Linken seit 40 Jahren gefallen sind". Er führt
aus: "Es ist eine Denkweise, die Differenzen sucht statt eine gemeinsame
Basis." Wir sprächen mit jedem, aber nicht miteinander. Und "es gibt
wenig Achtsamkeit hinsichtlich der Frage, wie unsere Art und Weise, unsere
Botschaft zu kommunizieren, bei Menschen außerhalb unseres Spektrums („bubble“) rüberkommt."
Ich bin anderer Ansicht. Niemand auf der Linken oder der grünen Linken sucht Differenzen. Sie sind real, sie
existieren einfach, sie beruhen oft auf unterschiedlichen materiellen
Interessen. Doch in meiner jahrzehntelangen Erfahrung in Indien und Deutschland
habe ich in den meisten einschlägigen Fällen erlebt, dass verschiedene progressive
Gruppen in der Liste von George Lakoff (den Hopkins zitiert) für bestimmte
Kämpfe (z.B. in der Friedensbewegung, Umweltschutzbewegung etc.) Allianzen,
Einheitsfronten usw. bildeten. Ein eklatantes Gegenbeispiel war das Ausbleiben
einer Allianz in den frühen 1930er-Jahren zwischen den Kommunisten und den Sozialdemokraten
gegen die deutschen Nazis. Das führte in der Tat zu einer Katastrophe.
Was den zweiten Punkt betrifft, kritisiert Hopkins Trainer wegen der Verwendung
einer "Sprache" (d.h. die Art und Weise, wie er seine Botschaft kommuniziert),
die für den Zweck ungeeignet ist. Er schreibt, dass Trainers Sprache
"garantiert die Mehrheit in der Gemeinschaft ausschließt",
"garantiert 98 Prozent der Bevölkerung die Lust verdirbt." Ganz
sicher will Trainer niemand ausschließen. Aber es ist wahr, dass derzeit die
meisten Menschen in der Welt nicht auf ihn und Menschen wie ihn hören.
Allerdings, um die Sache klar zu
machen, liegt es nicht wirklich an Trainers "Sprache“. Alle seine
Adressaten verstehen Englisch gut, und die Worte, die er verwendet, sind sehr
klar. Diejenigen, die seine Botschaft lesen oder hören, sind ja gebildete und
intelligente Menschen. Er hetzt ja auch niemand zu einem Staatsstreich oder
einem bewaffneten Aufstand auf. Es ist eigentlich der Inhalt seiner Schriften, der das Problem ist, nicht der Stil. Für
98 Prozent der Menschen in den reichen Industrieländern ist es leider immer
noch unvorstellbar, dass sie, um die Umwelt zu schützen und sich der rapiden
Erschöpfung der Ressourcen anzupassen, Opfer bringen müssen, nämlich ihren
Ressourcenverbrauch um 90 Prozent reduzieren und den Kapitalismus abschaffen,
der ihnen so viel Wohlstand beschert hat.
Aber was tut man dann? Soll man dann seine Ziele ändern, gibt man dann
seine Überzeugung auf? Soll man dann den 98 Prozent der Menschen unbequeme
Wahrheiten verheimlichen, nur von schönen Dingen erzählen – entgegen der
eigenen Überzeugung – um von der Mehrheit geliebt zu werden? Oder soll man sich
anstrengen, unverbindliche und vage Sachen zu sagen, die keinem die Lust
verdirbt? In diesem Fall ist man ein typischer Politiker im schlechtesten Sinne
des Wortes, kein politischer Aktivist. Selbst ein echtes Reformprojekt braucht
engagierte Aktivisten, die die Wahrheit sagen und keine Angst haben, Wähler zu
verstimmen. Solche Aktivisten sagen den Menschen offen, welche Veränderungen
ihrer Meinung nach notwendig sind, um das bestehende System zu verbessern.
Hopkins findet Trainers Argumente "ganz vernünftig"; dennoch schilt er
ihn dafür, dass er sie offen ausspricht.
Aber hier unterscheide ich mich ein wenig von Trainer. In seiner Kritik an
Transition schreibt er zu meinem
Erstaunen: "Plötzliche oder laute Rufe nach radikaleren Zielen würden
diesen Bewegungen schaden." Wie? Denkt Trainer, die Zeit sei noch nicht
reif? Oder, dass die Massen nicht intelligent oder reif genug sind? Ich denke
dagegen, es ist höchste Zeit, dass alle Bürger der Welt vollständig über die
gegenwärtige katastrophale Lage der Menschheit und der Erde informiert werden.
Das ist Teil unserer Bewusstseinsbildungsarbeit. Und ich denke, alle Menschen
sind intelligent und reif genug, um die grundlegenden Wahrheiten dieser Lage zu
verstehen. Wir brauchen sie ihnen nur darzulegen. Die Ziele, die er
"radikaler" nennt, sind eigentlich absolute Notwendigkeiten.
Es stimmt, dass viele Aktivisten,
mit denen wir Allianzen bilden müssen, sagen würden, dieses oder jenes Ziel sei
nicht realistisch, weil die Herrscher, oder auch die Massen, die entsprechenden
Forderungen keinesfalls akzeptieren würden. Das war meine Erfahrung Mitte der
1980er Jahre in der Grünen Bewegung von Deutschland. Aber heute ist die
Weltlage hundertmal schrecklicher und dringlicher als damals. Auf jeden Fall,
wenn unsere radikalere Ziele für andere Aktivisten zu radikal sind, können wir
dennoch die Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern auf der Grundlage einer
Liste von sofortigen Mindestzielen (die Hopkins gemeinsame Basis nennt) weiterführen.
Parallel dazu und außerhalb des Bündnisses können wir kompromisslos unsere
Analyse und langfristige Ziele verbreiten. Die oben zitierte Ansicht von
Trainer verblüfft Hopkins, der schreibt: "Trainers Perspektive ist
verwirrend. Einerseits sagt er, ‘plötzliche oder laute Rufe nach radikaleren
Zielen würden diesen Bewegungen schaden‘, andererseits sagt er, dass
der Weg, den Transition einschlägt, ‘nur
zu einer stark und zunehmend unnachhaltigen und ungerechten Konsumgesellschaft
führen, die viele Gemeinschaftsgärten usw. enthält.‘ ‘‘
Hopkins schreibt: "... was uns auch immer dahin bringt, wo wir hingehen
müssen, wird erfordern, dass wir größer denken, dass wir die Sprache neu
erfinden und dass wir versuchen, eine gemeinsame Basis [mit den 98 Prozent der
Menschen] zu bilden, anstatt uns in eine Ecke zu reden, während jeder andere in
eine andere Richtung schaut.“ Wie ich oben gezeigt habe, hat Hopkins keine
klare Vorstellung davon, wo wir auf lange Sicht hingehen müssen, um die Welt belastbar
gegen die schweren Krisen zu machen, die im Gange sind und die uns bevorstehen.
Er vertritt also sozusagen eine Wetterhahn-Strategie, um sich nicht in eine
Ecke zu reden. Aber in den Zeiten, in denen wir leben, ist es notwendig,
die Wahrheit zu sagen, so unangenehm sie
für die 98 Prozent auch sein mag. Es ist notwendig, wenn es sein muss, sich in
eine Ecke zu reden, anstatt sich der Mehrheit anzuschließen, auf
ihrer gemeinsamen Basis. Es ist die
Pflicht der Minderheit, ehrlich die 98prozentige Mehrheit
zu
kritisieren, selbst wenn der dafür zu zahlende persönliche Preis hoch ist.
Es ist die Pflicht der Minderheit, die Mehrheit zu der unangenehmen Wahrheit
und zu den unangenehmen Lösungen unserer Probleme und Krisen zu
führen, anstatt die angenehme Wärme zu
genießen, die einem die Mitgliedschaft der Mehrheit spendet. Im praktischen
Leben sind wir gezwungen, viele Kompromisse zu machen, um bloß die Alltagsprobleme
bewältigen zu können. Lasst uns aber keine Kompromisse machen in unserem Denken
und beim Ausdrücken unserer Gedanken. Glücklicherweise sind heute Leute wie
Trainer nicht mehr so isoliert wie Hopkins denkt. Es gab vor kurzem eine
Degrowth-
Konferenz (etwa: Wirtschaftsschrumpfung-Konferenz) in Leipzig, an
der 3000 Menschen teilnahmen. Im Jahre 2011 fand in Berlin ein Kongress mit dem
Titel "Beyond Growth" statt (etwa: jenseits von Wachstum). Durchschnittliche
Menschen sind heute nicht mehr wie kleine Kinder, denen man unbequeme Fakten vorenthalten
muss.
An anderer Stelle in seinem Artikel hat Hopkins einiges in einem Stil geschrieben,
als wäre er ein geschickter politischer Führer, obwohl er eigentlich nur der
Mehrheit folgt. Er schreibt zum Beispiel: "Aber das wird nur
funktionieren, wenn wir die geschickten Mittel finden, Menschen mitzunehmen, ja, die geschickten Mittel, Menschen dazu zu befähigen, dass sie sich nach der Welt
sehnen, die wir schaffen müssen, weil die Möglichkeiten, die diese Welt
bietet, ihre Herzen singen lässt. Ich bin ganz für geschickte Mittel, Dinge zu
tun. Ich bin ganz dafür, dass fähige Menschen die Führung bei einem Projekt haben.
Aber die Führer müssen klar wissen – auf der Grundlage einer objektiven, illusionsfreien
Analyse der gegenwärtigen Situation –, wohin die Reise gehen soll.
Allerdings bin ich skeptisch gegenüber der Idee, Menschen dazu zu
befähigen, dass sie sich nach der Welt
sehnen, die wir schaffen müssen. Sie werden sich nicht danach sehnen, wenn
sie die Wahrheit darüber erfahren haben. Aber sie könnten davon überzeugt werden,
dass es sich hier um eine Notwendigkeit
handelt. Die Möglichkeiten, die diese Welt bieten wird, werden nicht wirklich die
Herzen der globalen Mittelschicht singen lassen. Jedoch es wird eine gerechte Welt sein, sowohl für die armen
Menschen von heute als auch für die anderen Arten, die die Erde mit uns teilen.
Und das wird uns irgendwie glücklich machen, wenn auch nicht jubeln lassen.
Es ist richtig, wie Hopkins es ausdrückt, "Menschen anzuschreien,
um ihnen die Notwendigkeit einer ‚Revolution‘ nahezubringen, und Sätze mit ‚radikal‘
und so weiter zu würzen, haben es eindeutig nicht geschafft, die notwendigen Veränderungen
zustande zu bringen. Das funktioniert nicht. … Bei fast allem, was es [diese
Methode] versucht hat zu erreichen, ist es gescheitert." Aber diese sind
nur einige der schlechten Arbeitsmethoden
der alten Linken gewesen, nicht ihre Strategie für die Schaffung einer
sozialistischen Gesellschaft. Klar, auch ihre Strategie hat sie nicht zum Ziel
geführt. Aber es ist irrelevant, dies hier zu sagen. Denn weder Trainer noch
andere Kategorien von Linken der Gegenwart (z.B. Öko-Sozialisten) schlagen die alte Strategie (Klassenkampf,
proletarische Revolution etc.) der alten
Linken für die Erreichung ihres neuen Ziels vor, das in wesentlichen Punkten
nicht mehr das gleiche ist wie das nunmehr obsolete
Ziel der alten Linken. Die Frage, warum die alte Linke ihr Ziel nicht erreichen
konnte, ist von verschiedenen Menschen, darunter vielen Linken, unterschiedlich
beantwortet worden (für meine Antwort siehe Sarkar 2001). Die alte linke Theorie
des gesellschaftlichen Wandels ist nicht mehr gültig. Neue Theorien und Strategien
sind von vielen einschließlich Trainer vorgeschlagen worden (für meine Theorie
und Strategie des Wandels, siehe ebenda und Sarkar 2013).
Hopkins sagt, er schlägt (mit Transition)
einen anderen Weg ein, einen geschickteren. Jeder Linke wünscht ihm viel Erfolg
dabei. Hopkins und Trainer, beide sollten ruhig sagen, dass bis heute keine
idealen Wege gefunden worden sind, die bei ihren Bemühungen, ihr jeweiliges
Ziel zu erreichen, den Erfolg garantieren. Was Trainer und seine
Geistesgenossen, zu denen ich auch ungefähr gehöre, ruhig sagen können, ist,
dass der Weg, welchen wir auch immer einschlagen mögen, zweifellos voller
Schwierigkeiten und Schmerzen sein wird. Denn auf den Komfort und Luxus zu verzichten,
die gewöhnlich aus Wirtschaftswachstum resultieren, wäre zweifellos schmerzhaft
für Menschen, die bis jetzt all das genossen haben. Manchmal stellen sich Leute
vor, es sei einfach, unsere Unterstützung für das System zurückzuziehen (Hopkins)
oder einfach daraus auszutreten (Trainer). Aber eigentlich ist das die
schwierigste Sache. Denn seit über zweihundert Jahren sind wir immer mehr davon
abhängig geworden. Es ist auch gar nicht so leicht für Aktivisten, ganze
Siedlungen einer neuen Art zu entwerfen (Trainer) oder kollektive Kontrolle
unserer Stadt zu übernehmen (Trainer).
Es hat sich jedoch in der Geschichte der Menschheit gezeigt, dass wir
Menschen auch die Eigenschaft haben, von Idealen und Werten inspiriert werden
zu können. Wenn Transition es
schafft, Menschen mit ihren geschickten Methoden für ihre Ziele zu begeistern –
Ziele, die zwar unserer Meinung nach nicht genug sind, die aber dennoch unsere
Unterstützung verdienen – ,wenn sie normalen Menschen Zuversicht (ein
Können-wir-Gefühl) einflößen kann, dann dürfen wir "Radikale“ auch hoffen,
dass unsere weitergehenden Ziele, unsere überlegene Ideale und Werte eines
Tages Unterstützung, zumindest Akzeptanz, unter den breiten Massen finden
werden, obwohl sie dafür wohl nicht „randalieren“ werden. Es gibt tausend
Gründe, pessimistisch zu sein. Aber wir sind noch nicht tot. Also versuchen wir es weiter!
Literatur
Hopkins, Rob (2014a) “Responding to Ted Trainer: there's a lot more
to Transition than community gardens”:
www.transitionnetwork.org/blogs/rob-hopkins/2014-09/responding-ted-trainer-theres-lot-more-transition-community-gardens
Hopkins, Rob & Katrin Lange (2014b) “Wir wollen
das Wirtschaftssystem verändern” (Interview), in Evident (Magazin: eine Beilage zur Süddeutschen Zeitung), Nr.
1/2014.
Sarkar, Saral (2001) Die nachhaltige Gesellschaft – Eine kritische Analyse der
Systemalternativen. Zürich: Rotpunktverlag.
Sarkar, Saral
(2013) Korrespondenz mit Kamran Nayeri:
https://groups.google.com/forum/#!searchin/thesimplerway/Letter$20to$20Kamran%7Csort:relevance/thesimplerway/kiIWzW7uu2U/NUTvILJPtsQJ
Trainer, Ted (2014) “Transition Townspeople, We Need To Think About
Transition: Just Doing Stuff Is Far From Enough!”:
http://blog.postwachstum.de/transition-townspeople-we-need-to-think-about-transition-just-doing-stuff-is-far-from-enough-20140801
Weizsäcker, Ernst Ulrich von (1992) Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der
Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft