Sonntag, 25. Dezember 2011

Melonenpreise oder Gottesstaat? —
Jahresrückblick und einige Schlüsse in Zusammenhang

Im Januar dieses Jahres begann ich mit dieser Serie von Kommentartexten. Vielleicht darf ich jetzt, Ende Dezember, versuchen, summarisch zu zeigen, in welcher Richtung sich die Menschheit in den zwölf Monaten voller mehr oder weniger weltbewegenden Ereignissen entwickelt hat, was klar geworden ist und was für Schlüsse wir daraus für die Zukunft schließen müssen.
Beginnen wir mit einer knappen Skizze der Lage bei der materiellen Basis. Danach gehen wir zum politischen Überbau über. Es ist klar geworden, dass die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise keine vorübergehende Sache ist, wie es die früheren Wirtschaftskrisen waren. Sie begann 2007, und noch signalisiert kein Licht das Ende des Tunnels. Die Schuldenkrise in Europa entzieht sich jeder Lösungsidee. Wenn die Staaten eisern sparen, vertieft sich die Rezession, und dann gibt es noch weniger Steuereinnahmen. Wenn sie die Konjunktur ankurbeln wollten, müssten sie noch mehr Geld leihen, das ihnen Investoren nicht geben wollen, oder nur zu viel höheren Zinssätzen als früher. Neue Schulden zu erhöhten Zinssätzen machen, um alte Schulden zu bedienen, vergrößert nur die Schuldenlast, kurbelt die Konjunktur nicht an.
Madame Lagarde, Chefin des IWF, hat uns neulich in dieser Sache reinen Wein eingeschenkt: "Der Ausblick auf die Weltwirtschaft ist im Augenblick … ziemlich düster". Sie fürchte eine neue große Depression wie in den 1930er Jahren (SZ, 17.12.2011). "The Party is Over", lautet der Titel einer geplanten BBC-Sendung über die wirtschaftliche Lage in Europa. Außer in Deutschland steigt fast überall die offizielle Arbeitslosigkeit, oder sie verharrt auf hohem Niveau. In Spanien beträgt sie 23 Prozent, bei jungen Leuten über 40%. Der Jobmarkt wird zunehmend zu einem Prekariatsmarkt. Nach der US-Statistikbehöde können 48% der US-Amerikaner als arm gelten. Das reale Durchschnittseinkommen aller US-Familien ist seit 2007 um 6,7% gesunken (JW. 20.12.11). Die zwei ehemaligen Lokomotiven, die die Weltwirtschaft aus der Krise ziehen sollten, China und Indien, verlieren an Zugkraft.
Die Rohstoffe werden immer knapper. Ihre Preise steigen weiter oder bleiben trotz Stagnation oder gar Rezession in der Weltwirtschaft hoch. Frau Merkel reist höchstpersönlich sogar in die Mongolei auf der Suche nach sicheren Rohstoffquellen für die deutsche Industrie. Und Bergbauingenieure bohren nach vielen Jahrzehnten wieder im Erzgebirge, um minderwertige Zinnerz zu fördern.
Was die Lage der Umwelt betrifft, sehen alle schwarz. Die UN-Klimakonferenz in Durban ist gescheitert, weil kein Staat den erreichten Wohlstand bzw. das Recht auf nachholende Entwicklung aufgeben wollte. Verbindliche Beschlüsse zum Klimaschutz sind bis 2020 aufgeschoben worden. Vattenfall musste wegen Widerstand der Bevölkerung ein Versuchsprojekt, CO² in unterirdischen Hohlräumen zu speichern, fallenlassen. Die Solarmodulindustrie in westlichen Industrieländern leidet gerade unter einer Krise. Obama wird demnächst die Forderung der Republikaner akzeptieren müssen, die Pipeline "Keystone XL" bauen zu lassen, die Öl (einschließlich des Öls aus Ölsand) von Kanada bis zu den Raffinerien am Golf von Mexiko transportieren soll.
Gerade in einer solch schlechten Lage der materiellen Basis begannen die Araber ihre demokratische Revolution. Und in Europa und den USA begannen die Occupy-Bewegung der Empörten und die teils gewalttätigen Protestdemos der Wütenden gegen die Sparpolitik ihrer jeweiligen Regierung.
Der Spruch "zuerst kommt das Fressen, dann die Moral" hat leider immer noch seine Gültigkeit. Die Occupy-Bewegten in den USA und Europa und die gewalttätigen Protestierenden in Athen und London wollen hauptsächlich eines: Sie wollen ihren bis 2007 gewohnten Lebensstandard zurückgewinnen bzw. sich einen höheren Anteil an dem schrumpfenden Kuchen sichern, als den, den die Regierung ihnen geben will. Beim Arabischen Frühling hingegen schien es anfangs anders zu sein. Die Hunderttausende, die in Tunesien und Ägypten gegen die Diktatoren kämpften, forderten scheinbar hauptsächlich Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und freie Wahlen.
In beiden Ländern haben inzwischen freie Wahlen stattgefunden. Gewonnen haben aber nicht die Kämpfer der demokratischen Revolution, sondern die Islamisten. Nach dem anfänglichen Schock fanden die enttäuschten jungen Revolutionäre auch Erklärungen. Einer von ihnen sagte: "Wähler haben das Gefühl, dass säkulare Parteien in der Vergangenheit korrumpiert waren und dass sie den Lebensstandard nicht erhöht haben. … Der Preis von Zucker, der Preis von Reis – das ist, was die Wähler interessiert." In einem anderen Bericht liest man: in Ägypten hatte es zwischen 2006 und 2008 viele Streiks und Proteste von Fabrikarbeitern gegeben. Es gab 2008 sogar einen Generalstreik. Als der Aufstand begann, waren die Forderungen grundsätzlich: "Ein Ende der Korruption und der Polizeibrutalität, unabhängige Justiz, bezahlbare Lebensmittel, bessere Krankenversorgung, höhere Löhne."
Bei solchen Forderungen wundert es niemand, dass die Islamisten bei den Wahlen gewonnen haben. Denn, wie ein junger Revolutionär sagte: "Die Leute denken, wenn die Kandidaten gottesfürchtig sind, werden sie kein Schmiergeld annehmen." Und, wie ein amerikanischer Reporter schrieb, "Der erste Schlüssel zum Erfolg der [Muslim-]Bruderschaft: ihre Büros sind Sozialhilfeagenturen: Bürger kamen vorbei, um sich Decken für den Winter zu erbitten, und die Partei teilte sie aus. … Mehrere Leute baten um Hilfe bei Bezahlung einer Arztrechnung. und sie bekamen sie." Eine freiberufliche Akademikerin sagte: "Salafisten sind gut für Frauen, weil sie bedürftigen Frauen helfen." Die Säkularen/Demokraten waren nie so hilfreich.
Das alles erklärt wohl nur den aktuellen Wahlerfolg der Islamisten. Wie ist aber die langfristige Aussicht? Ein junger Revolutionär sagte: "Sie verteilen Fleisch und Kohle. Aber das ist noch kein Programm. Durchs Frommsein allein schaffst du noch keine Arbeitsplätze." Das ist sehr richtig. Er sagte zuversichtlich: "Langfristig werden sich die Demokraten durchsetzen." Da habe ich meinen Zweifel.
In einer Zeit, in der die Party vorbei ist, in der wohl eine lange große Depression beginnt, werden es weder die Säkularen/Demokraten noch die Islamisten schaffen, die steigenden materiellen Ansprüche einer wachsenden Bevölkerung zu erfüllen. Die Islamisten haben aber den Säkularen/Demokraten gegenüber einen großen Vorteil in punkto Glaubwürdigkeit. Ihr eigentliches Ziel, das sie nicht verheimlichen, ist ein "Gottesstaat", nicht Wohlstand für alle. Die Zukunftsvision der säkularen, Laptop und Handy swingenden Facebook-Demokraten ist zu sehr von Wohlstand-für-alle abhängig. Ayatollah Khomeini sagte einmal, als die Euphorie über die islamische Revolution im Iran abflaute: "Wir haben die Revolution nicht gemacht, damit die Wassermelonen billiger werden". Und das Ideal der Salafisten ist es, das Leben nach dem Vorbild des Propheten Mohammed zu gestalten. Eine konkurrenzfähige alternative Vision seitens der säkularen/Demokraten wäre eine bescheidene und egalitäre, ökologische und sozialistische Gesellschaft.
Ich wünsche ihnen fürs neue Jahr den Mut zu dieser Alternative.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

In zwei verschiedenen Dampfern —
Dieselben Leute zur selben Zeit

Vor einiger Zeit lernte ich einen schönen idiomatischen Ausdruck: "Sie sitzen in zwei verschiedenen Dampfern". Gemeint war, dass die zwei betreffenden Menschen bei einer wichtigen Frage total entgegengesetzte Grundpositionen vertraten. Politiker sind aber ein besonderer Typ von Menschen. Sie können offensichtlich manchmal gleichzeitig in zwei verschiedenen Dampfern sitzen, die in entgegengesetzten Richtungen fahren. Sonst kann man nicht erklären, dass sie (z.B. neulich in Durban) sich um eine weltweite Klimapolitik bemühen, die die Erderwärmung auf maximal 2° Celsius begrenzen soll, und dass sie gleichzeitig in Brüssel, Washington, Beijing, Delhi usw. eine Politik verfolgen, die unbegrenztes Wirtschaftswachstum bewirken soll.
Bis dato ist das erhoffte goldene Zeitalter der emissionslosen erneuerbaren Energien nicht angebrochen. Der größte Teil der Weltwirtschaft wird immer noch durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern getrieben. 2010 stieg die globale Emission von CO² um 6%. Auch Photovoltaik-Module und Windtkraftanlagen werden immer noch mithilfe von konventionellen Energien hergestellt. Was noch enttäuschender ist, sie brauchen immer noch Subventionen, die in der Gesamtwirtschaft erarbeitet werden muss, das heißt eben durch Verbrennung von fossilen Energieträgern. Da inzwischen Kernenergie in Verruf geraten ist, zu gefährlich zu sein, werden wir in Zukunft den Bau von mehr Kohlekraftwerken erleben.
Ich denke nicht, dass Politiker im allgemeinen dumm sind. Sie verstehen ganz bestimmt den Widerspruch zwischen den zwei genannten Teilen ihrer Politik. Aber sie sitzen in einer Zwickmühle. Sie müssen so tun, als versuchten sie, die Erderwärmung auf 2° Celsius zu begrenzen. Denn die Weltöffentlichkeit, insbesondere die Bevölkerungen von kleinen, armen Ländern wie Tuvalu, Malediven und Bangladesh, die ihre Heimat werden verlassen müssen, wenn die Erderwärmung nicht bald gestoppt wird, sitzen ihnen im Nacken. Andererseits müssen sie auch versuchen, die große Wirtschaftskrise zu überwinden. Denn auch Millionen Arme, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, aber auch Wirtschaftskapitäne, sitzen ihnen im Nacken. Sie sind alle Wähler und zum Teil Spender von Wahlkampfgeldern. Und die Politiker wollen ja immer wieder gewählt werden.
Sie betreiben also eine große systematische Täuschung, und zwar seit langem. Dabei helfen ihnen auch viele Wissenschaftler, Publizisten und Medienleute. Ehrliche Fans der erneuerbaren Energien hegen nur die vage Hoffnung, dass bis 2050 das Problem gelöst sein wird, weil dann der gesamte Energiebedarf der Welt (zumindest des Vorreiters Deutschland) durch erneuerbare Energien gedeckt werden wird. Aber Politiker und ihre wissenschaftlichen und publizistischen Helfer behaupten schon seit den 1990er Jahren mit großer Selbstsicherheit, in Zukunft würde technologische Entwicklung ermöglichen, dass sowohl der Ressourcenverbrauch sinkt als auch gleichzeitig die Wirtschaft (bzw. der Wohlstand) wächst – um Faktor vier oder Faktor zehn oder gar um doppelten Faktor zehn.
Es gab schon in den 1980er Jahren auch wissenschaftliche Studien, in denen behauptet wurde, dass in den industriell entwickelten Ländern Energieverbrauch pro Einheit Bruttoinlandprodukt stetig sank. Kritiker hatten schon damals auf die trügerische Qualität solcher scheinbar wissenschaftlichen Studien hingewiesen. So schrieben zum Beispiel die Autoren des Brundtland-Berichts (1987): "Doch auch die industriell am fortgeschrittensten Wirtschaften brauchen nach wie vor eine kontinuierliche Versorgung mit Grundfertigwaren. Ob diese im Inland hergestellt oder importiert werden, ihre Produktion wird weiterhin große Mengen Rohstoffe und Energie erfordern … ".
Auch in Bezug auf den CO²-Fußabdruck eines Landes sollte man eine solche kritische Haltung einnehmen, das heißt nicht nur auf die Produktion, sondern auch auf den Konsum der Einwohner des Landes schauen. Dies hat Gabriel Felbermayr, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von München, neulich in einer Studie getan. Er schreibt: "Der CO²-Fußabdruck [eines Landes] … schließt alle Emissionen ein, für die die Konsumenten des betreffenden Landes verantwortlich sind. … Wenn sich ein Land am internationalen Handel beteiligt, dann [ändert sich] sein CO²-Fußabdruck mit dem CO²-Gehalt seines Handels." So gesehen, sei die Behauptung einiger Länder, wie zum Beispiel Deutschlands und Frankreichs, sie hätten seit 1990 ihren CO²-Ausstoß stark reduziert, total falsch. Felbermayr schreibt: "Industrieländer dokumentieren CO²-Ersparnisse. Aber in Wahrheit sind Emissionen nur ins Ausland ausgelagert worden", [indem viele Industrien ausgelagert wurden].
Wenn man diese wissenschaftlich gesehen richtige Sicht der Dinge zu Eigen macht, dann hat man auch etwas Verständnis für den Zorn, mit dem die Chinesen auf den Vorwurf der Westler reagieren, China würde die Umwelt und die Atmosphäre am meisten beschädigen. Ein chinesischer Minister sagte einmal: "Ihr wolltet es doch, dass China die Werkbank der Welt würde . Ihr könnt uns jetzt nicht dafür kritisieren, dass wir die Umwelt beschädigen."
Der Widerspruch zwischen Ökologie und einer industriellen Ökonomie kann nicht bestritten werden. Es geht einfach nicht, dass wir den Kuchen essen und ihn auch intakt behalten wollen. George W. Bush war zumindest ehrlich, als er die USA aus dem Kyoto-Prozess zurückzog – mit der Begründung, dass sonst die Wirtschaft seines Landes schaden nehmen würde. Auch der kanadische Umweltminister sagte die Wahrheit, als er gestern (13.12.2011) den Austritt seines Landes aus dem Kyoto-Protokoll mit dem Satz begründete, Kanada könne seine Verpflichtungen nur erfüllen, wenn es alle Kraftfahrzeuge von den Straßen entferne.
Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltdegradation ist unbestreitbar. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre, als die Wirtschaften der ehemaligen DDR und der ehemaligen Sowjetunion zusammenbrachen, nahmen auch der CO²-Austoß und die Umweltverschmutzung in den betreffenden Regionen stark ab. Das ist auch ein Teil des Geheimnisses des "Erfolgs" Deutschlands in Punkto CO²-Ausstoß.
Ein geordneter Rückzug vom Wachstumswahn – das heißt kurzfristig, im Klartext, eine gut und gerecht geplante gewollte Wirtschaftsrezession – ist zweifelsohne das beste Rezept für Umweltschutz sowie für Klimaschutz. Eine längerfristige Bevölkerungspolitik im Weltmaßstab, deren Ziel eine Stabilisierung und spätere Schrumpfung der Weltbevölkerung sein muss, ist auch absolut notwendig.

Freitag, 9. Dezember 2011

Gewalt nahm in der Geschichte stetig ab —
Friedensoptimismus und einige Relativierungen

Neulich ist über Gewalt in der Menschheitsgeschichte ein 1200seitiges Buch erschienen*, über das viel diskutiert wird. Es ist ein Thema, das alle Friedensaktivisten interessieren muss. Ich habe den Wälzer noch nicht gelesen. Aber das Thema ist zu wichtig, als dass ich die Veröffentlichung der Gedanken, die mir beim Lesen von ein paar Rezensionen bzw. Diskussionsbeiträgen durch den Kopf gingen, verschieben sollte.
Der Autor Steven Pinker ist ein renommierter Evolutionspsychologe. Seine (oberflächlich gesehen) provokante These, nämlich dass Gewalt in der Menschheitsgeschichte kontinuierlich abnimmt, präsentierte er ursprünglich in einem 2007 gehaltenen Vortrag. Bei dem in unserer Zeit verbreiteten Pessimismus, musste man zuerst skeptisch sein. Aber in den folgenden Jahren lieferten ihm Historiker viele Belege für seine These. Seine Beweisführung ist überzeugend. Aber auch Laien, die von der Menschheitsgeschichte etwas Ahnung haben, könnten seine These bestätigen. Zum Beispiel wissen wir alle, dass seit dem Beginn der Moderne keine Verurteilten lebendigen Leibes auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder an der Guillotine enthauptet werden, dass in der Mehrheit der Staaten die Todesstrafe abgeschafft worden ist, dass Foltern von Gefangenen international geächtet wird usw. Nur bei der Statistik über Kriegstote und sonstige durch Gewalt getötete relativ zur Weltbevölkerung, mit deren Hilfe Pinker seine These untermauert, gibt es unter Historikern etwas Zweifel. Pinker hat errechnet, dass ein Mensch, der zwischen 14400 und 1770 v. Chr. lebte, zu durchschnittlich 15 Prozent Wahrscheinlichkeit damit rechnen musste, einer Gewalttat zu erliegen. Im 20. Jahrhundert ist diese Wahrscheinlichkeit auf unter ein Prozent gesunken. Manche Sozialwissenschaftler haben in seiner Arbeit mangelnde Quellenkritik moniert. Aber solche Kritik und Zweifel sind unwichtig.
Pinker bezweifelt, dass prähistorische Gesellschaften friedlich gewesen sind. Diese These sei nur eine Mär. Das können wir im allgemeinen akzeptieren. Und auch wir Laien wissen, dass seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, weltweit die Anzahl von Kriegen stark abgenommen hat. In Europa zum Beispiel hat es seit 1945 einen einzigen Krieg gegeben, nämlich den in Jugoslawien.
Aber können wir aus diesen Fakten, aus dem bisherigen Prozess der Zivilisierung der Menschheit, die Hoffnung ableiten, dass die Menschheit auch in der Zukunft immer friedfertiger wird? Ich hoffe es, aber ich habe auch einige Zweifel.
Mein Argument ist nicht, dass der Mensch von seiner Natur her immer zur Gewalt und Tötung seiner Speziesgenossen bereit ist. Im Laufe der Geschichte und im Prozess der Zivilisation haben wir es, wie Pinker zeigt, auch geschafft, diesen Aspekt unserer Natur weitgehend zu bändigen. Aber mir kommt in den Sinn, dass unsere Selbstzivilisierung mit fast kontinuierlicher Wirtschaftsentwicklung einherging. Wegen des letzteren Prozesses wurde es immer weniger nötig, zu töten, zu plündern, zu rauben und zu stehlen, um zum Wohlstand zu gelangen. Früher mussten ganze Völker zu diesem Zweck Krieg gegen andere Völker führen, ihr Land erobern oder sie mit Kanonenbooten drohen. Seit einigen Jahrzehnten aber ist das immer weniger nötig. Handels- und Investitionsdiplomatie ersetzten zunehmend Kanonenbootdiplomatie.
Das ist auch ein Grund dafür, dass sich imperialistische Mächte wie Großbritannien, Frankreich und die Niederlande in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus ihren Kolonien zurückziehen konnten, ohne dadurch zu verarmen. Ganz im Gegenteil, sie prosperierten nach dem Rückzug. Sie entdeckten, man kann Menschen und Länder auch ausbeuten, ohne sie mit Militärgewalt zu unterwerfen. Das bedeutete aber nicht, dass ehemals unterdrückte Menschen und Völker von Gewalt befreit wurden. Nackte und tödliche Gewalt wurde durch eine andere Art von Gewalt ersetzt, die Johan Galtung "strukturelle Gewalt" nannte. Die Weltwirtschaftsstruktur von heute übt inzwischen eine Gewalt auf Menschen und Völker aus, von der sich zu befreien fast unmöglich ist.
Der wichtigste unter den Faktoren, die zu dieser Wirtschaftsentwicklung beitrugen, war die Entdeckung und Einsatz von enormen Mengen von billigen fossilen Brennstoffen. Wir dürfen nicht vergessen, dass trotz aller vollmundigen Erklärungen der Menschenrechte im 18. Jahrhundert – nach der Französischen Revolution und nach der Unabhängigkeitserklärung der britischen Kolonien in Amerika – die Sklaverei erhalten blieb, gerade in den USA und in den französischen Kolonien. Es soll niemand erstaunen, dass die Sklaverei erst im 19. Jahrhundert abgeschafft wurde, als der fossile Brennstoff Kohle die Sklaven als Energiequelle der Wirtschaft ersetzten konnte. Später kamen Erdöl und Ergas dazu. Die Wohlstandsexplosion, die dann erfolgte, leitete eine neue Ära ein, die wir, dem Amerikanischen Autor Catton Jr. folgend, die "Age of Exuberance" (Zeitalter von Überschwang) nennen können. In dieser Ära begannen Ideale von Demokratie, Fortschritt, Menschenrechten, Freiheit, Emanzipation usw. zu blühen.
Diese Age of Exuberance begann in der Dritten Welt spät, in den 1960er Jahren. Es konnte sich aber nicht entfalten wie in Europa und Nordamerika. Die Ressourcen der Erde reichten nicht, alle Menschen der Welt mit Wohlstand zu beglücken. Viele Teile der Dritten Welt sind inzwischen in Bürgerkrieg, Gewalt, Chaos und Massenarmut versunken. Hunderttausende verlassen ihre Heimat in der Richtung der vermeintlichen Eldorados Europa und Nord Amerika, wo auch inzwischen als Folge der Wirtschaftskrise die Lage in jeder Hinsicht sehr schlecht geworden ist, wo der Sozialstaat abgebaut wird, wo Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Neofaschismus und Jugendgewalt zunehmen.
Schon 2006 wurde "Peak-oil" erreicht. Die ehemals reichen Ressourcenlager werden erschöpft. Die Weltbevölkerung aber steigt kontinuierlich. Die natürliche Umwelt ist stark degradiert. Prognose für die Wirtschaften: lange Stagnation, langfristig sogar Schrumpfung. Der Schwanengesang der heutigen Zivilisation ist schon angestimmt worden. Können wir angesichts dieser Lage noch hoffen, dass Gewalt in Zukunft weiterhin abnehmen wird?, dass die Welt immer friedlicher wird? Auch Opfer von struktureller Gewalt können zu den Waffen greifen. Sie tun es schon. Für Frieden brauchen wir eine andere Zivilisation.
* Steven Pinker: "Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit", S.Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011, 1210 Seiten, 26 Euro.

Dienstag, 29. November 2011

Stuttgart im Gegensatz zu Zuccotti Park, New York

Zusammen betrachtet, kann man aus der Bewegung gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 und der Occupy-Wall-Street-Bewegung (OWS) nützliche politische Lehren ziehen.
Am 27. November wurde per Referendum entschieden, dass das Land Baden-Württemberg nicht aus der Finanzierung des Bahnprojekts aussteigen soll. Die Stuttgarter Demonstranten hatten eine, eine einzige und klare Forderung, nämlich, dass der Tiefbahnhof nicht gebaut werden soll. Nicht die Politiker, sondern die höchste demokratische Instanz, die Wählerschaft in Baden-Württemberg, hat die Forderung der Stuttgarter Demonstranten abgelehnt und ihnen so eine Abfuhr erteilt. Das kann den Demonstranten der Occupy-Bewegung nicht passieren. Denn sie haben keine Forderung gestellt, die abgelehnt werden kann.
In einem Zeitungsartikel las ich einen kurzen Bericht über das Vorspiel zu der Occupy-Bewegung, das im Bundesstaat Wisconsin stattgefunden hatte. Im Februar dieses Jahres brachte der Gouverneur einen gewerkschaftsfeindlichen Gesetzesentwurf ins Parlament ein. Aus Protest dagegen besetzten Studierende und gewöhnliche Lohnabhängige drei Wochen lang das Parlamentsgebäude. Es gab in der Hauptstadt Madison Demonstrationen von über hunderttausend Menschen. Aber, um es kurz zu fassen, die Bewegung endete mit einer Niederlage. Das Gesetz wurde verabschiedet, und bei den anschließenden Wahlen wurden die Politiker, die für das Gesetz gestimmt hatten, wiedergewählt. Der Autor Abra Quinn schreibt: "Daraus hat OWS eine Lehre gezogen: die Bewegung will keine Forderungen an die Parlamente mehr aufstellen, das könnte sie in eine wahlpolitische Farce verstricken" (SoZ, 12/2011).
Ist das Strategie oder Taktik? Was auch immer, ist es politisch klug, keine klare Forderung zu stellen? In den ersten Wochen der Besetzung des Zuccotti-Parks haben manche amerikanische Publizisten und sonstige Beobachter die Besetzer aufgefordert zu sagen, was ihre konkreten Forderungen sind. Einer gab ihnen auch diesbezüglich Ratschläge. Aber selbst wenn die Besetzer es gewollt hätten, bei der Spontaneität der Aktion und der großen Heterogenität ihres politischen Denkens und Hintergrunds, wäre das nicht möglich gewesen. So blieb es beim bloßen Ausdruck von Empörung.
Dennoch hat die Occupy-Bewegung mehr und politisch Sinnvolleres gesagt und geleistet als die Bewegung gegen Stuttgart 21. Die letztere hat nicht einmal überzeugend erklären können, warum das Projekt Stuttgart-21 verworfen werden sollte.
Wenn aus ökologischen Gründen die Dienstleistungsqualität öffentlicher Verkehrsmittel verbessert werden soll, dann warum sollen Menschen, insbesondere die Grünen, gegen ein Bahnprojekt sein? Das Argument, die Kosten seien zu hoch, ist ein sehr schwaches Argument in einem sehr reichen Land. Schließlich fordern alle Ökos, insbesondere die Grünen, dass Sonnen- und Windenergieprojekte mit viel Geld subventioniert werden sollen. Es wäre ein echt ökologisches und überzeugendes Argument gewesen, wenn die Gegner des Projekts verallgemeinernd gesagt hätten: wir brauchen keine Beschleunigung, Entschleunigung ist das Gebot der ökologischen Vernunft. Oder wenn sie gesagt hätten: jedes unnötige Bauprojekt ist eine Ressourcenverschwendung und umweltschädlich. Die Schönheit des Kopfbahnhofs wäre dann ein zusätzliches Argument.
Im Gegensatz zu den Stuttgartern mit ihrem knauserig klingenden Kosten-Argument gegen ein einzelnes Bauprojekt haben die Occupy-Bewegten mindestens ein großes allgemeines Problem thematisiert, nämlich die Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen, 1% Superreichen und 99% "Armen". So haben sie indirekt ein bisschen zur Delegitimierung des Kapitalismus beigetragen, und das in den Hochburgen des Systems.
Es hat mich gar nicht gewundert, dass 58% der Wähler, von denen die meisten sicherlich arbeitende Menschen sind, das Projekt Stuttgart-21 befürwortet haben. In einer Zeit, in der innerhalb von vier Jahren eine zweite Rezession droht, die viele Arbeitsplätze vernichten würde, betrachten die Wähler die Zerstörung des Kopfbahnhofs und der Bau des Tiefbahnhofs wohl als eine gute, Arbeitsplätze schaffende, konjunkturpolitische Maßnahme. Schließlich hatten sie 2009 auch die Autowrackprämie gut geheißen. Der selige John Maynard Keynes, Guru der Gewerkschafter und der Sozialdemokraten, hatte sogar empfohlen, in Krisenzeiten Löcher im Boden graben und sie wieder zuschütten zu lassen.

Mittwoch, 23. November 2011

Viel Tun oder Nichts Tun? Das ist die Frage!

Vor etwa zwei Wochen las ich in der SZ (12.11.11) einen kurzen Redaktionsartikel mit der Überschrift "Lob des Nichtstuns". Schon die Überschrift genügte, mein Interesse zu wecken. Was, dachte ich, in einer deutschen Zeitung erscheint so ein Artikel! Zumal in der SZ, der führenden Zeitung des Landes für Wirtschaft und Finanzgeschäfte!
In dem Artikel ging es um den Vorschlag der Regierung Ecuadors, auf die Ausbeutung des neulich gefundenen großen Ölvorkommens im Yasuni-Nationalpark im Amazonasgebiet zu verzichten, wenn die Weltgemeinschaft das Land für die entgangenen Öleinnahmen entschädigt. Der Autor informiert uns: "Naturschützer loben die Initiative als Vorbild, wie rohstoffreiche Länder sich aus Abhängigkeiten lösen und neue Wege suchen könnten."
Nachdem ich bis zu diesem Satz gelesen hatte, dachte ich: welch ein Unsinn! Wo ist hier die Suche nach neuen Wegen? Und wo ist hier der Versuch, sich aus Abhängigkeiten zu lösen? Die Ecuadorianer hoffen bzw. fordern doch, dass reiche Länder ihnen (wie es der deutsche Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel ausdrückte) fürs Nichtstun X Millionen oder Milliarden Dollar zahlen. Sieht das wie ein Streben nach Unabhängigkeit aus?
Die Regierung soll argumentiert haben, Ecuador brauche das Geld dringend für seine Entwicklung. Auch dies sieht nicht wie eine Suche nach neuen Wegen aus. Das ist der alte Weg, Entwicklung.
Das einzige, was in diesem Vorschlag Lob verdient, ist, dass die Regierung ihn gemacht hat, um ein Stück Urwald und die darin lebenden Urvölker zu schützen. Die Behauptung, sie wolle damit zum Klimaschutz beitragen, ist nicht überzeugend. Denn woher sollen die reichen Länder die Hunderte von Millionen Dollar haben, die sie Ecuador zahlen sollen?
Damit ist die grundsätzlichste Frage der Volkswirtschaftslehre angeschnitten: wie entsteht der Reichtum der Völker? Bevor die fossilen Brennstoffe in großem Ausmaß als Energiequelle eingesetzt wurden, waren "die Springquellen alles Reichtums", wie Marx es ausdrückte, "die Erde und der Arbeiter". Unter "Erde" könnte man Ressourcen wie fruchtbaren Boden, Wälder, (fischreiche) Gewässer und allerlei Mineralien verstehen. Energie und Know-how lieferten die Arbeiter. Auch fließendes Wasser, wehender Wind und die Wärme des Sonnenscheins (für die Landwirtschaft) waren als Energiequellen da.
Das waren aber die Reichtumsquellen der vorindustriellen Gesellschaften. Seit dem Beginn des Industriezeitalters jedoch kommt Energie hauptsächlich von den fossilen Brennstoffen. Wenn nun die reichen Länder Ecuador großzügig "für Nichtstun" mehrere Milliarden Dollar zahlen wollten, müssten sie diese Gelder zunächst einmal erwirtschaften. Und das geht bisher nur mit erhöhtem Einsatz von fossilen Energieträgern in Europa, Japan und Nordamerika, vielleicht auch in China, Indien und Brasilien. Ecuador kann also überhaupt nicht behaupten, es sei bereit, auf etwas zu verzichten. Es ist nicht bereit, auf das Geld von möglicher Ölförderung zu verzichten. Und von Erhöhung vom CO2-Ausstoß will es auch nicht wirklich ablassen. Beides soll in anderen Ländern geschehen.
Seit einiger Zeit hören wir viel von einem anderen Wind, der in einigen Teilen von Lateinamerika weht, besonders in Ecuador und Bolivien. "Buen vivir", gut leben, statt Wirtschaftswachstum und Wohlstand, soll da jetzt der neue Slogan sein. Das erinnert mich an den von Fritz Schumacher geprägten Slogan "small is beautiful".
Aber die führenden Politiker in Ecuador und Bolivien scheinen immer noch nicht die wahre Bedeutung dieser Slogans für ihr jeweiliges Land verstanden zu haben. Darum ließ Evo Morales eine Straße durch einen anderen Urwald des Amazonasgebiets bauen, bis die indigenen Einwohner des Gebiets ihn zwangen, das Projekt zu streichen. Die Straße nicht zu bauen und auf die in Aussicht gestellten wirtschaftlichen Vorteile von dem Projekt zu verzichten, das ist Nichtstun. Und Bolivien hat dafür keine Entschädigung gefordert.
Viele solche Verzichte sind notwendig, wenn die Menschheit die Natur und das Weltklima wirklich schützen will, oder, wie es der SZ-Autor ausdrückt, "der Natur und dem Weltklima wäre … mehr geholfen, wenn die Menschheit sich tatsächlich einmal auf Nichtstun verlegen würde."

Samstag, 5. November 2011

Auch eine Krise der Demokratie

Gerade, am Abend vom 3. November 2011, habe ich eine Nachricht gehört, die deutlich macht, wie hohl das politische System Demokratie inzwischen geworden ist. Griechenlands Premierminister Papandreou hatte vor zwei Tagen angekündigt, er werde das griechische Volk per Referendum entscheiden lassen, ob sein Land das Rettungspaket akzeptieren soll, das die Eurozone-Bosse – Merkel, Sarkozy et al. – für die Rettung Griechenlands und gleichzeitig für die Rettung der Eurozone und des Euro geschnürt hatten. Merkel und Sarkozy waren böse. Sie zitierten Papandreou zu einem dringlichen Treffen und lasen ihm die Leviten. Papandreou kam zurück nach Athen und sagte im Parlament, das griechische Volk – Erfinder der Demokratie sowie des Begriffs Europa – brauche kein Referendum für die wichtigste Entscheidung in seiner neuren Geschichte.
Ich möchte noch ein Beispiel geben, allerdings einer anderen Art. Vor ein paar Monaten veranstaltete in der Hauptstadt von Indien ein alter, bis dahin wenig bekannter Sozialarbeiter namens Anna Hazare einen Hungerstreik. Er wollte dadurch erreichen, dass in seinem Land, wo Mahatma Gandhi in der Zeit der britischen Kolonialherrschaft dieses Mittel oft benutzt hatte, Korruption in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens effektiv bekämpft wird. In kurzer Zeit sammelten sich mehrere tausend indische Staatsbürger um ihn und demonstrierten jeden Tag für die Verabschiedung eines strengen und effektiven Gesetzes, das es ermöglichen würde, dass eine unabhängige Instanz selbst die höchsten Persönlichkeiten der Politik und des Beamtentums wegen Korruption bestraft. Hazares Anti-Korruptionsbewegung breitete sich aus. Die Volksvertreter, die nicht leugnen konnten, dass Indiens Politik, Wirtschaft und Verwaltung hochgradig mit Korruption durchsetzt sind, boten Gesetzesentwürfe an, die Hazare und seine Anhänger nicht zufrieden stellen konnten. Diese beharrten auf ihrer Forderung nach einem sehr viel strengeren und sehr viel effektiveren Gesetz. Die demokratisch gewählten Volksvertreter, die längst kein Ansehen mehr im Volk genießen, argumentierten, in einer parlamentarischen Demokratie wie der Indiens dürften nur sie entscheiden, was für ein Gesetz gut für das Land sei. Das nützte nichts. Die Bewegung gewann jeden Tag tausende neue Anhänger im ganzen Land. Die Politiker gaben schließlich nach, akzeptierten die Forderung von Hazare und seinen Anhängern.
In beiden Fällen haben Leute, die nicht demokratisch legitimiert waren, entschieden, was in Griechenland bzw. Indien geschehen soll. Im Falle Griechenlands waren es sogar Politiker von anderen Ländern. Im Falle Indiens war es der Druck der Straße, kein Referendum. Es waren vielleicht 20 tausend Inder – eine winzige Zahl im Vergleich zu der Gesamtbevölkerung von 1,2 Milliarden. Das zeigt, dass, aus verschiedenen Gründen, die Demokratie nicht so richtig funktioniert. Griechenland hat de facto seine Souveränität verloren, in Indien das Parlament seine Macht.
Ich denke, wir sollen diese Verhältnisse nicht bedauern. Volksvertreter haben nie die Interessen des gesamten Volkes vertreten. Die Parteien vertreten nur die Interessen eines Teils des Volkes, die Volksvertreter, im besten Fall, die Interessen eines Teils der Wähler ihres Wahlkreises. Meistens vertreten sie die Interessen ihrer Klientel, im schlimmsten Fall ihr eigenes privates Interesse. Darum spricht man ja auch von Demokratie als einem Mittel, mit dem Verhandlungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen in der Gesellschaft ermöglicht werden. Und seitdem Staaten von Export und Import sowie von ausländischen Investitionen abhängig geworden sind, haben sie auch ihre ökonomische Unabhängigkeit verloren. In dieser tatsächlichen Lage, entspräche es eher der Wahrheit, wenn wir das gegenwärtige politische System Plutokratie nennen würden statt Demokratie. Denn es ist wahr, Geld regiert die Welt.
Was aber sehr viel schlimmer ist, ist die Tatsache, dass eine sehr große gesellschaftliche Interessengruppe an den Verhandlungen über die Verteilung von Ressourcen und die Handhabung der Biosphäre nicht teilnehmen kann, weil sie noch nicht geboren ist. Die künftigen Generationen werden aber ganz sicher geboren werden. Ihre Interessen werden jedoch von den gegenwärtig lebenden Generationen völlig ignoriert. Mit unserem steigenden Ökologiebewusstsein müssen wir dazu noch auch über die Rechte der anderen Spezies der Erde reden. Auch diese können nicht an den Verhandlungen zwischen den Interessengruppen teilnehmen.
Dieses Manko jedweder bekannten Variante des demokratischen politischen Systems kann nicht behoben werden, es sei denn, dass irgend etwas Nichtdemokratisches unternommen wird. Kann man durch eine demokratisch verabschiedete Verfassungsänderung verhindern, dass die gegenwärtig lebenden Generationen eines Volkes über ihre Verhältnisse leben, das heißt auf Kosten der künftigen Generationen und anderer Völker, wie es die Griechen, Italiener usw. getan haben? Kann man auf diese Weise verhindern, dass die gegenwärtig lebenden Menschen die Ressourcen der Erde erschöpfen und die Umwelt zerstören? Das ist nicht möglich. Denn jede Verfassungsänderung kann demokratisch durch eine weitere Verfassungsänderung rückgängig gemacht werden.
Übrig bleibt nur die Möglichkeit einer allgemeingültigen Hegemonie von zwei ethischen Prinzipien, nämlich vom Prinzip der Nachhaltigkeit und vom Prinzip der Gerechtigkeit inklusive der Gerechtigkeit zwischen den gegenwärtig lebenden und den künftigen Generationen. Diese Hegemonie kann nur eine kulturelle sein. Sie muss aber soviel Kraft (nicht Macht) haben, dass kein Präsident, Premier oder Kanzler es wagen würde, sie zu verletzen. Wie sie zustande gebracht werden kann, darüber muss noch nachgedacht werden.

Freitag, 7. Oktober 2011

Ein Lichtblick in Amerika

Die beste Nachricht der letzten drei Wochen kam aus dem Herzen der Bestie, nämlich aus der Wall Street. Meine Leser haben sicher mitbekommen, dass da seit etwa drei Wochen ein paar tausend meist junge Amerikaner gegen einiges protestieren und demonstrieren, was ihr Leben schwieriger gemacht bzw. ruiniert hat. Ähnliche Protestdemos haben inzwischen auch in ein paar Dutzend anderen großen und mittleren Städten der USA stattgefunden – in Los Angeles, Chicago, Boston usw. Sogar in der Hauptstadt Washington D.C., hauptsächlich eine Beamten- und Angestelltenstadt, werden solche Demos vorbereitet.
Wogegen bzw. wofür wird da protestiert und demonstriert? Fernsehberichte sowie Berichte im Internet und den Printmedien haben diesbezüglich Folgendes zu sagen:
Vorbereitungen zur Demo in Wall Street hatten schon im Juli begonnen. Am 13.07. wurde ein Aufruf zur Aktion (Call to Action: Occupy Wall Street) im Internet veröffentlicht. Der Anfang war also schon organisiert. (Der nachfolgende Verlauf des Protests ergab sich eher aus der Dynamik der Sache.) Dennoch herrscht Unklarheit über das Ziel und die Forderungen der Demonstranten, was einen nicht wundern kann, da selbst die Demonstranten sich als "eine führerlose Widerstandbewegung" beschreiben. In den Berichten heißt es, sie bilden die Demos in Ägypten, Spanien und Israel nach. In Ägypten hatten die Demonstranten eine klare Forderung: Abgang von Mubarak und ein erhabenes Ziel: Etablierung eines demokratischen Systems. In Spanien und Israel aber ging es nicht weiter als Protest gegen die eigene ökonomische Misere. Immerhin sind ihre amerikanischen Nachahmer einen Schritt weiter gegangen. Sie demonstrieren zwar auch gegen ihre eigene ökonomische Misere. Aber sie reden klar vom Klassenkonflikt, etwa in dem Zitat: "Eine Sache haben wir gemein: Wir sind die 99%, die die Gier und Korruption der 1% nicht hinnehmen werden. 1% der Menschen haben 99% des Geldes". Und es wurde auch unter anderem die Forderung geäußert, die Reichen höher zu besteuern. Einige forderten die Zerschlagung der Finanzkonzerne, sogar den Sturz des Finanz-industriellen Komplexes. Soweit sind nicht einmal die sehr militanten unter den Tahrirplatz-Besetzern gegangen. Was die ägyptische Wirtschaft angeht, geißeln sie bestenfalls die Korruption.
Aber es gibt da auch viel Kritik, die sehr vage und harmlos ist. Ein Plakat sagte: "Nieder mit der Weltbank", als ob die Weltbank etwas mit dieser Krise zu tun hätte. Ein anderes sagte: "Die Banken sind hier, um uns zu bestehlen." Ein weiteres sagte: "Das Geldsystem funktioniert nicht [mehr]." Ein Mann sagte, die Demonstranten wollen "die Gier der Konzerne stoppen", sie fordern "von Corporate America Verantwortlichkeit für die Finanzkrise und die zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit". Als ob Gier, Finanzkrisen und steigende wirtschaftliche Ungleichheit nicht fundamentale Bestandteile des kapitalistischen Systems wären.
Nicht, dass das Thema Kapitalismus vermieden wird. Ein artikulierter Linker sagte: "Es geht nicht um eine einzelne Krise, … sondern um ein verkommenes System". Eine junge Frau sagte, die Demonstranten sind vereint in ihrem Wunsch nach "einer gleicheren (more equal) Ökonomie". Sie fügte aber gleich hinzu, dass sie nicht gegen den Kapitalismus per se sei. Ein Mann sagte klar, er sei ein Anti-Kapitalist. Auf einem Plakat stand "der Kapitalismus funktioniert nicht [mehr]." Einer schrie. "Amerika braucht eine Revolution". Offen bleibt aber die Frage: was dann, wenn der Kapitalismus nicht mehr funktioniert? Was, wenn das verkommene System kollabiert? Soll die Revolution nur so eine sein wie die in Tunesien und Ägypten?
Die meist jungen Leute empören sich also, wozu sie der 93jährige Stéphane Hessel aufgerufen hat. Aber Empörung ist doch nur der Anfang. Muss nicht danach eindeutig gesagt werden: der Kapitalismus ist von Übel, er muss abgeschafft werden? Und muss nicht dann über eine zukünftige Gesellschaft nachgedacht werden, die die kapitalistische ersetzen soll? Ist die Zeit nicht schon längst reif dafür?
Zwar sind die "Empörten" in Spanien und Israel auch nur empört über ihre schlechte ökonomische Lage. Aber in Europa gibt es sehr viele, die nicht nur sagen, dass sie Antikapitalisten sind. Sie sagen auch, dass sie Sozialisten sind. Viele von ihnen bezeichnen sich als Ökosozialisten, was beinhaltet, dass sie auch gegen den Industrialismus sind.
Vor einigen Wochen, also vor der Demo in Wall Street am 17.09., las ich die Antwort eines Amerikaners auf die Frage, warum es in Amerika keinen großen Protest gibt – zum Beispiel Protest der obdachlos gewordenen – wie in Athen. Die Antwort lautete: jeder Amerikaner denkt, er kann auch ein Millionär werden. Michael Moore, der kritische Filmemacher, nennt das eine Liebesaffäre mit dem Kapitalismus. In einem Fernsehbericht hörte ich einen Obdachlosen sagen, er hoffe, seine Zeltwohnung in einem Wald bald zugunsten einer richtigen auflösen zu können, sobald die Krise vorbei sei. Aber wird die Krise einmal vorbei sein?
Die gebildete, ägyptische Mittelklassejugend, die weiter auf dem Tahrirplatz demonstriert, hofft, dass sie nach der Demokratisierung ihres Landes eine Blütezeit erleben würde, ohne von Reich und Arm sprechen zu müssen. Diese Hoffnung hat die amerikanische Jugend wohl nicht mehr. Aber sie hat anscheinend doch die Illusion, dass die Verhältnisse im Kapitalismus etwas menschlicher, etwas gerechter werden könnten, wenn nur die Wall-Street-Mafia besiegt wären. Darum sagen sie nicht, der Kapitalismus muss abgeschafft werden. Noch nicht. Es ist ja nicht so, als wären alle die 99% der Amerikaner Habenichtse. Die meisten sind Studenten, Kinder der Mittelschicht. Es gibt also noch keinen Grund, die Wall-Street-Besetzung zu zelebrieren.
Trotzdem ist die Besetzung ein politisches Erwachen von Amerika, vielleicht sogar der Beginn eines Umbruchs, mindestens aber ein Lichtblick.

Dienstag, 4. Oktober 2011

Die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise

Die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise ist jetzt schon über dreieinhalb Jahre alt, und eine zweite Große Rezession zeichnet sich drohend ab. Die Aussichten sind düster: entweder eine lange Stagnation oder gar eine lange Depression. Auf jeden Fall, ohne Zweifel, wird es langfristig eine kontinuierliche Bewegung nach unten sein. Die Frage "Wird der Kapitalismus bald vorbei sein?" wurde schon im Oktober 2008 zum Thema einer ganzen Tagung in San Francisco gemacht(, an dem ich teilnahm). Es ist also sehr wichtig und eine dringliche Aufgabe für alle politischen Aktivisten und politisch interessierten Menschen, diese Krise wirklich zu verstehen - und zwar im Lichte der in den letzten paar Jahrzehnten gewonnenen neuen Erkenntnissen und Einsichten. In einem Aufsatz (das englische Original erschien im Internet 2010) habe ich einen Versuch gemacht. Ich würde mich sehr freuen, wenn er gelesen und breit verteilt wird. Kritik und Kommentare sind mir sehr willkommen.
Hier ist der Link:
http://www.oekosozialismus.net/Weltwirtschaftskrise+verstehen+_Deutsch_.pdf

Montag, 19. September 2011

Dennis Meadows --
Die gegenwärtige Krise

Heute möchte ich Sie bitten, den folgenden Artikel aufmerksam zu lesen. Er hilft uns, die gegenwärtige Krise richtig zu verstehen. Saral Sarkar

Weltbestseller-Autor Dennis Meadows: "Lebensstandard wird drastisch sinken"

Vor bald 40 Jahren beschrieb Meadows in einem Weltbestseller "Die Grenzen des Wachstums" - Die Welt habe wenig daraus gelernt, eine nachhaltige Entwicklung sei gar nicht mehr möglich, sagt der MIT-Professor. Den Ressourcenverbrauch zu bremsen reicht nicht, er müsse drastisch gesenkt werden. Dass eine Krise eine Chance ist - wie oft hat er das gehört! Und tatsächlich stecke in einer Wirtschaftskrise die Möglichkeit einer Systemveränderung, "aber sie verkleinert auch den Zeithorizont. Wenn ich dich unter Wasser drücke, dann denkst du nicht an das kommende Jahr, dann denkst du nur, wie du wieder über Wasser kommst", sagt der amerikanische Professor Dennis L. Meadows, der 1972 mit seinem Bericht an den Club of Rome (The Limits to Growth) die Ökonomenzunft aufgerüttelt und der Umweltbewegung das wissenschaftliche Rüstzeug gegeben hat.
Vier Jahrzehnte später spricht in einem Standard-Interview tiefer Pessimismus aus dem Wissenschafter vom Massachusetts Institute of Technology: "Pessimismus? Vielleicht eher: Realismus. 1972 habe ich über die Welt nachgedacht, aber die war an meiner Meinung nicht sonderlich interessiert. Heute denke ich eher an einzelne Länder oder Regionen."

Widerstandsfähig statt nachhaltig

Auf Einladung von Umweltminister Nikolaus Berlakovich denkt Meadows unter anderem in Wien über Nachhaltigkeit nach - aber dem Minister hat er zu dessen Überraschung gesagt, dass Nachhaltigkeit - Sustainability - nicht ausreichend ist: "Was wir brauchen, ist nicht Sustainability, sondern Resilience, also eine elastische Widerstandsfähigkeit gegen katastrophale Entwicklungen. So wie sich ein Pflanzenbestand gegen einen natürlichen Feind wie eine Krankheit zu wehren bemüht."
1962, als er das erste Mal in Österreich gewesen ist, da habe in den ländlichen Regionen noch kaum jemand ein Auto gehabt, allenfalls hatte man ein Motorrad. Damals wäre noch Zeit zur Umkehr gewesen, auch zehn Jahre später noch, als sein Bericht an den Club of Rome eindringlich auf die Endlichkeit der Rohstoffreserven hingewiesen hat. Da hätte man noch auf ein nachhaltiges Wirtschaftssystem umschwenken können.

"Peak Oil" war bereits 2006

Seither hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt - und bei einigen Rohstoffquellen ist schon spürbar, dass sie versiegen. "Peak Oil", das Maximum an konventioneller Ölförderung, ist nach den Berechnungen von Meadows bereits 2006 erreicht worden - neue Lagerstätten sind nur mehr sehr aufwändig zu erschließen. Wobei Meadows den österreichischen Umweltminister darauf hingewiesen hat, dass er nicht daran glaubt, dass der Ölpreis über die 200-Dollar-Marke und weiter ins Unermessliche steigen wird: "Ich sehe eher ein Szenario wie in Kriegszeiten - da regelt nicht der Markt den Preis, sondern der Staat die Verfügbarkeit. Man wird also Erdöl rationieren, da kann man dann nicht mehr einfach mit dem Auto spazieren fahren."
Ähnlich werde es mit dem Erdgas passieren: Wenn dieses in Russland knapp werde, dann würde es nicht bloß teuer - es würde für Westeuropa wahrscheinlich gar nicht mehr verfügbar sein. Ähnlich werde es wohl mit US-Energieimporten aus Kanada laufen: "Die behalten das einfach für sich, weil sie es selber brauchen. Es muss klar sein: Man kann das nicht alles substituieren. Wenn wir in den 1970er-Jahren gefordert haben, die Entwicklung des Ressourcenverbrauchs zu bremsen, so müssen wir heute davon ausgehen, dass wir ihn drastisch zurückfahren müssen. Und das heißt nach heutigen Begriffen: Der Lebensstandard wird drastisch sinken müssen."
Dass Österreich zumindest anstrebt, Energieautarkie zu erreichen, stellt für Meadows ein hehres Ziel dar, auch wenn er im Detail - etwa bei der Herstellung von Biosprit - Zweifel äußert. Aber im Wärmebereich sei Biomasse am besten geeignet, daheim in New Hampshire heize er auch mit Holz.

Die Kirche als Energiepartner

Stichwort Holzwirtschaft: Da meint er, dass es in Österreich einen potenten Partner für den Aufbau einer langfristig erhaltbaren Energieversorgung gebe: "Nehmen Sie die katholische Kirche. Klöster haben eine jahrhundertealte Erfahrung damit, relativ autark zu wirtschaften, sie haben forstwirtschaftliche Erfahrung und denken in viel längeren Zeiträumen als Ökonomen und Politiker."
Der Politik traut Meadows ohnehin nicht sehr, auch wenn er das Energiekonzept von Berlakovich lobt: "Aber was sagt denn der Wirtschaftsminister? Der hat doch üblicherweise andere Sorgen, der hat ja geradezu die Aufgabe, kurzfristige Erfolge zu erzielen, auch wenn diese langfristig das System belasten."
Und noch eine Portion Pessimismus zum Abschied: "Sie sehen doch, was die Krise bewirkt hat: Das Interesse am Klimawandel ist fast völlig erloschen."
Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 8.9.2011

Montag, 22. August 2011

Fearing A Planet Without Apes

Ich möchte heute einen Text von einem anderen Autor posten. Ich kann ihn von ganzem Herzen unterschreiben.

FEARING A PLANET WITHOUT APES

By JOHN C. MITANI
Published: August 20, 2011 , in The New York Times
John C. Mitani is a professor of anthropology at the University of Michigan.
Ann Arbor, Mich.
VIEWERS of this summer’s Hollywood blockbuster “Rise of the Planet of the Apes” may be surprised to learn that before our earliest ancestors arrived on the scene roughly seven million years ago, apes really did rule the planet. As many as 40 kinds roamed Eurasia and Africa between 10 and 25 million years ago. Only five types remain. Two live in Asia, the gibbon and orangutan; another three, the chimpanzee, bonobo and gorilla, dwell in Africa. All five are endangered, several critically so. All may face extinction.
A decade ago, Congress stepped forward with a relatively cheap but vitally important effort to protect these apes through innovative conservation programs in Africa and Asia that combined taxpayer dollars with private money. But attempts to reauthorize the Great Apes Conservation Fund have gotten stuck in Congress and may become a victim of the larger debate over the national debt.
Hollywood’s depiction of apes as cunning — if not conniving — creatures comes close to reality. Fifty years ago, Jane Goodall’s observations of chimpanzees’ using tools and eating meat demonstrated just how similar apes are to humans. Subsequent fieldwork has underscored this point.
Gibbons, long thought to be monogamous, occasionally mate with individuals outside their group. Orangutans fashion tools to extract seeds that are otherwise difficult to obtain. Gorillas engage in conversational vocal exchanges. Bonobos appear to have sex not only to reproduce but also to relieve stress. Male chimpanzees form coalitions to kill their neighbors and take over their territory. If all of this seems human, there is a good reason: The apes are our closest living relatives, and in anatomy, genetics and behavior, they are much more similar to us than they are to other animals.
Apes fascinate and captivate us like no other species. They are prime attractions at zoos, and scientists from disciplines ranging from anthropology to biology and psychology study them closely in captivity and in the wild. As our first cousins in the primate family, apes help us to understand what makes us human.
I have been lucky to study all five kinds of apes during 33 years of fieldwork in Africa and Asia. When I look into the eyes of an ape, something stares back at me that seems familiar. Perhaps it is a shock of recognition, or a thoughtfulness not seen in the eyes of a frog, bird or cat. The penetrating stare makes me wonder, “What is this individual thinking?”
But as the human population expands, ape numbers continue to dwindle. In previous versions of the “Planet of the Apes” films, greed and consumption by humanlike apes threatened the world. In reality, it is these all-too-human traits that imperil apes.
Habitat destruction because of human activity, including logging, oil exploration and subsistence farming, is the biggest concern. Hunting is another major problem, especially in West and Central Africa, where a thriving “bush meat” trade severely threatens African apes. Poachers are now entering once-impenetrable forests on roads built for loggers and miners. Recently, periodic outbreaks of deadly diseases that can infect humans and apes, like Ebola, have begun to ravage populations of chimpanzees and gorillas.
The Great Apes Conservation Act, enacted in 2000, authorized the spending of $5 million annually over five years to help protect apes in the wild. The act was re-authorized in 2005 for another five years. The program matches public with private dollars to maximize the impact. Since 2006, for example, $21 million in federal dollars spent by the Great Ape Conservation Fund generated an additional $25 million in private grants and support from other governments.
The federal money may not sound like much in this era of “big science.” But those dollars have gone a long way to protect apes in countries that are desperately poor and politically volatile. The money pays for protecting habitat, battling poachers and educating local populations about the importance of these apes.
For instance, in Indonesia, where habitat loss threatens the few remaining populations of orangutans, money has been earmarked to block the conversion of forests to commercial oil palm and rubber plantations. In Congo, home to the extremely rare mountain gorilla, alternative fuels have been introduced to discourage the cutting of forests for charcoal production. In Gabon, the program has paid for law enforcement training for park rangers battling poachers. The list goes on. In all, last year, the Great Apes Conservation Fund helped to underwrite more than 50 programs in 7 Asian and 12 African countries. If Congress does not reauthorize the act, it could make it much harder to continue even the modest appropriations the great apes fund now receives.
A planet without apes is not sci-fi fantasy. If we do not take action now, sometime in the future, as Hollywood continues to produce sequels to the classic 1968 film, our children and our children’s children will ask with wonder, and perhaps a certain amount of anger, why we stood by idly while these remarkable creatures were driven to extinction.

Montag, 8. August 2011

Nichts dazu gelernt - Die falsche Dichotomie der in ihrer obsoleten Ideologie gefangenen Altlinken

Man könnte meinen, die These, dass es Grenzen des Wachstums gibt, ist inzwischen akzeptabel geworden, obwohl es da immer noch einige Differenzierungen gibt, wie ich in einem vorigen Blog-Text über den Postwachstumskongress vom Attac gezeigt habe (27.05.2011). So einfach ist aber die Sache nicht. In einem in der Jungen Welt veröffentlichten Artikel (5.08.2011) kritisiert Lucas Zeise die Wachstumskritiker folgendermaßen: "Auf der ideologischen Schiene kann es da für die kapitalistische Seite nichts Besseres geben, als wenn der Ruf 'Verzichtet auf Wachstum und zu viele materielle Güter!' unter den Lohnabhängigen selber erschallt. Wer öffentlich verkündet, der Lebensstandard in unseren … Gesellschaften sei generell zu hoch und nicht auf Dauer zu halten, mag mit dieser Durchschnittsbetrachtung sogar recht haben, er lenkt aber vom eigentlichen Skandal ab, dass die Verteilung der materiellen Güter systematisch höchst ungleich ist, … ."
Namentlich kritisiert Zeise drei Wachstumskritiker: Prof. Niko Paech, der bekannte marxistische Autor Prof. Elmar Altvater und, interessanterweise, das bis 2010 amtierende Sekretariat der DKP. Nico Paech ist nach Zeise kein Linker. Aber von den anderen zwei kann man schwerlich sagen, dass sie die Verteilungsfrage nicht thematisiert haben. Es geht also um die Menge von Gütern und Dienstleistungen, die produziert und dann verteilt werden soll.
Im obigen Zitat konzediert Zeise, dass die Behauptung, der Lebensstandard in unseren Gesellschaften sei generell zu hoch und nicht auf Dauer zu halten, zutreffen mag. Dann aber schreibt er: "Wer unter den jetzigen Verhältnissen für niedrigeres Wachstum plädiert, tritt ein für hohe Erwerbslosigkeit, soziales Elend und Schwächung gewerkschaftlicher Gegenmacht." Und dann, zum krönenden Abschluss seiner Kritik kommt der Hammer: "Wer … den …Wachstumszwang des Kapitalismus beklagt und ihn bekämpfen will, findet sich – sicher ungewollt, aber auch unvermeidlich – ganz plötzlich auf der falschen Seite des Klassenkampfes wieder." Soweit, stark zusammengefasst, die Kritik von Zeise.
Für ein so schwerwiegendes Thema ist Zeises Artikel zu kurz. Vielleicht konnte er nur deswegen nicht auf die praktisch-politisch wichtige Frage eingehen, was denn die sozialistische Linke angesichts der unübersehbaren drohenden ökologischen Folgen des kontinuierlichen Wirtschaftswachstums tun sollte. Dabei ist die von Zeise umständlich behandelte Frage, ob es im Kapitalismus einen Wachstumszwang gibt oder nicht, relativ unwichtig. Mag sein, dass der Kapitalismus auch in einer stagnierenden Wirtschaft auf einem niedrigeren Niveau als dem heutigen weiterleben kann. Das ist auch die Meinung des amerikanischen Wachstumskritikers Herman Daly, der das sogar wünschenswert findet (vgl. sein Buch Steady State Economics, 1977). Die wichtigere Frage ist: sollen die linken Umweltschützer aufhören mit ihrer Kritik an und Bewegung gegen Wirtschaftswachstum, weil sie sich sonst, "unter den jetzigen Verhältnissen", de facto "auf der falschen Seite des Klassenkampfes" finden würden?
Zeises oberstes Ziel scheint Überwindung des Kapitalismus zu sein. Darum hat in seinem Denken der Klassenkampf die oberste Priorität. Darum ist er gegen die "Schwächung gewerkschaftlicher Gegenmacht". Da er aber auch einräumt, dass der durchschnittliche Lebensstandard in Ländern wie Deutschland auf Dauer wohl nicht zu halten ist, darf ich annehmen, dass er die Frage nach der Nachhaltigkeit der z. B. deutschen Wirtschaft und, generell, die Frage nach dem Schutz der Biosphäre verschieben will – bis zu einer Zeit, wo durch erfolgreichen Klassenkampf der Kapitalismus überwunden ist. Durch eine Wachstumstop-Bewegung, selbst wenn sie irgendwann erfolgreich wäre, kann ja seiner Meinung nach dieses Ziel nicht erreicht werden.
Aber seine Annahme, dass die Arbeiterklassen und ihre Gewerkschaften " in unseren … Gesellschaften" den Kapitalismus überwinden wollen, ist durch nichts begründet. Wer die Geschichte der (in Gewerkschaften oder sonst wie) organisierten Arbeiterbewegung in Europa kennt, weiß, dass sie schon vor langem das Ziel aufgegeben hat, den Kapitalismus zu überwinden. Und diese Arbeiterbewegung hat auch nie ein echtes Interesse, nicht einmal ein theoretisches Interesse, daran gezeigt, eine nachhaltige steady-state Wirtschaft auf einem niedrigeren Niveau als heute als langfristiges Ziel zu akzeptieren, damit das Gleichgewicht der Biosphäre unseres Planeten nicht kollabiert. Unter dem Druck der Ökologiebewegung und vor dem Hintergrund der Erfolge der grünen Parteien haben sie sich im besten Fall zur Befürwortung eines pseudogrünen Wachstums oder pseudogrünen New-Deals durchgerungen. Wie kann und warum soll also die Ökologiebewegung aus Liebe zu einer solchen Arbeiterbewegung und zur Stärkung solcher Gewerkschaften mit ihrer Wachstumskritik aufhören?
Mag sein, dass die meisten Ökos – inklusive der Grünen Parteien – eigentlich keine Linken sind und dass also Überwindung des Kapitalismus kein Ziel für sie ist. Dennoch, unbewusst, wirken auch sie, insbesondere die Wachstumskritiker, gegen den Kapitalismus. Das haben die Ideologen des Kapitalismus erkannt. Ein Beweis dafür ist das folgende Zitat aus einem 1990 in dem Spiegel veröffentlichten Artikel über den Klimaschutz: "Die Bush-Gehilfen argwöhnen, die weltweit geschlagenen Verfechter der Planwirtschaft streben nun über den Umweltschutz an, was ihnen im Kalten Krieg versagt blieb: den Sieg über den Kapitalismus. So hatte Darman [ein Mitarbeiter von Bush I] … Angst vor 'radikalen Grünen' geschürt, die ein 'globales Management' der Ressourcen erzwingen wollten." (Der Spiegel, 21.5.1990: 163)
Dennoch ist Wachstumskritik (oder eine Ökologiebewegung) allein keine sozialistische Politik. Wenn aber echte Sozialisten die echte Ökologielektion lernen, dann wird die Dichotomie zwischen den zwei Zielen – den Kapitalismus überwinden und die Biosphäre schützen – verschwinden. Dann werden Sozialisten mit großer Überzeugungskraft sagen können: solange der Kapitalismus mit seinem Wachstumsdrang (wenn auch nicht Wachstumszwang) herrscht, kann die Gefahr eines ökologischen und mithin sozialen Kollapses nicht abgewendet werden. Nur eine echte Synthese der beiden– der sozialistischen Bewegung und der Ökologiebewegung – kann es schaffen. Sagen wir also: Ökosozialismus oder Barbarei. Eine Denkrichtung mit diesem Verständnis der politischen Aufgabe existiert schon.

Freitag, 29. Juli 2011

Gedankenlöcher im Energiediskurs

Vor ein paar Tagen (26.07.2011) sah ich bei BBC eine Sendung über das Thema Atomkraft. Es war eine Sendung der Reihe "Hard-Talk", in der dem eingeladenen Gast immer harte, kritische Fragen gestellt werden.
Bei der betreffenden Sendung waren zwei Gäste eingeladen: ein Herr Ritch, Vorsitzender des internationalen Verbands der Atomindustrie, und Sven Giegold, grünes Mitglied des Europa-Parlaments.
Ich will hier nicht von den bei dem Talk geäußerten altbekannten Fakten, Behauptungen, Argumenten und Gegenargumenten bezüglich der Risiken und Gefahren der Atomkraft berichten, sondern beschränke mich auf die kritischen Fragen des Interviewers, die den Talk-Gästen Probleme machten.
Herr Ritch gab zu, dass die Atomindustrie nach Fukushima ein Legitimations- und Imageproblem hat. Aber seine Antwort auf die Frage, warum also sein Verband gegen die Mehrheitsmeinung an der Atomkraft festhält, war gar nicht, dass keine Industrie sich auflösen will. Er berief sich vielmehr auf das Prinzip Demokratie. Er sagte, das einzige Land, in dem die Mehrheit der Bürger eindeutig gegen die Atomkraft eingestellt sei, sei Deutschland. Er verwies auf den Fakt, dass die Regierungen der Länder, in denen Atomstrom produziert wird – mit der Ausnahme von Deutschland und Italien – gar nicht daran denken, Abschied von der Atomkraft zu nehmen. Einige wollen sogar neue AKWs bauen.
Der Interviewer sah einen Unterschied zwischen Regierungsentscheidung und Meinung der Mehrheit der Bürger. Aber Herr Ritch ließ diese Unterscheidung nicht gelten, Er hielt dagegen, dass in den meisten betreffenden Ländern Regierungen demokratisch gewählt werden. Was ist also demokratisch legitimiert? Genügt es, wenn die Regierung, die eine Entscheidung trifft, vor zwei-drei Jahren demokratisch gewählt worden ist?
Es kann sein (wer weiß?), dass, wenn ein Volksentscheid über die Frage "Atomkraft Ja oder Nein?" abgehalten würde, auch in anderen Ländern die Mehrheit gegen die Atomkraft stimmen würde. Eine solche Meinungsäußerung würde aber auf der Hoffnung beruhen, dass erneuerbare Energien in einigen Jahren die gesamte Menge des gegenwärtig verbrauchten Atomstroms würden ersetzen können. Denn wohl niemand fände die Idee gut, die abgeschalteten AKWs durch Kraftwerke zu ersetzen, die Kohle, Öl oder Gas verbrennen.
Ein Volksentscheid über die Atomkraft müsste also logischerweise irgendwie mit einem Volksentscheid über die genannte Hoffnung auf erneuerbare Energien gekoppelt werden. Wie kann man aber einen Volksentscheid über eine Zukunftsmusik abhalten?
Erwartungsgemäß meinte Herr Ritch, dass unweigerlich neue Kohlekraftwerke gebaut werden müssten, wenn alle AKWs über kurz oder lang abgeschaltet werden sollten. Der Interviewer fragte Giegold, wie denn die Grünen das Loch füllen würden, wenn in Deutschland bis 2022 alle AKWs abgeschaltet sein werden. Ich will hier Giegolds Standard-Antwort, die ja in Deutschland reichlich bekannt ist, nicht wiederholen. Nur eine Bemerkung ist hier notwendig. Giegold (wie meistens auch andere Grüne, zumindest wenn sie öffentlich reden) unterschied nicht zwischen Energie und Strom. Strom ist zwar Energie, aber nicht alle Energie ist Strom. Wenn man meint, dass bis 2050 der gesamte Energiebedarf Deutschlands 100prozentig mit erneuerbaren Energien gedeckt werden kann, dann ist meist nicht klar, ob man nur den Strombedarf meint, oder auch den gesamten Bedarf an gespeicherter flüssiger und gasförmiger Energie (also Ersatz für Benzin, Diesel, Gas und Heizöl).
Diese Frage ist wichtig, denn man muss, wenn man mit Solar- und Windelektrizität Kraftfahrzeuge fahren will, die Elektrizität vorher entweder in Flüssigwasserstoff umwandeln oder in großen Batterien speichern. In beiden Prozessen geht eine Menge der aufwendig geernteten Energie verloren. Das ist ein Naturgesetz. Und es wäre auch ein kommerzieller Unsinn, wenn man zuerst mit großem Aufwand Strom produzieren würde, um ihn dann nur als Wärme zum Gebäude-Heizen verbrauchen würde. Was Biodiesel und Bioethanol betrifft, setzt dieser Idee der Bedarf an fruchtbarem Boden eine Grenze.
Giegold sagte, es gebe schon jetzt in Deutschland mehrere Kommunen, die ihren gesamten Energiebedarf 100prozentig mit erneuerbaren Energien decken. Der Interviewer versäumte es, ihn zu fragen, ob die Bürger dieser Kommunen mit Flüssigwasserstoff bzw. Strom Auto fahren oder mit gewöhnlichem Benzin und Diesel bzw. 100prozentig mit Rapsdiesel oder Ethanol aus Mais.
Offensichtlich war der Interviewer nicht davon überzeugt, was Giegold behauptete. Er fragte ihn, wie er erklären könne, dass der berühmte Wissenschaftler James Lovelock, Vater der Gaia-Theorie und Sympathisant der Grünen, und George Monbiot, namhafter Publizist und Grün-Sympathisant, ihre ursprüngliche Hoffnung auf erneuerbare Energien verloren haben und an die Grünen appellieren, ihren Widerstand gegen die Atomkraft aufzugeben, da ja die globale Erwärmung doch die größere Gefahr sei. Giegold antwortete nur, er lade Monbiot nach Deutschland ein; dieser könne dann selbst sehen, dass es stimmt, was er sage.
Vor etwa zwei Jahren habe ich auch ein Hard-Talk mit Lovelock gesehen, bei dem er seine Befürwortung der Atomkraft begründete. Da er die oben genannte Hoffnung der Protagonisten der erneuerbaren Energien nicht mehr teilte und da für ihn die Abwendung von Klimakatastrophen die oberste Priorität hatte, meinte er die Atomkraft hinnehmen zu müssen. Er sagte, wir könnten unseren Enkelkindern den guten Lebensstandard nicht verweigern, den wir uns selbst gönnen. Das ist die Crux bei der Sache: der Lebensstandard. Wir können den Kuchen nicht essen, und ihn auch intakt behalten.

Dienstag, 28. Juni 2011

Momentaufnahme in der langen Krise

Von der jüngsten weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich die Welt immer noch nicht erholt. Deutschland ist ein Ausnahmefall. Dreieinhalb Jahre Krise; das ist außergewöhnlich lang. Zwar dauerte die Große Depression der 1930er Jahre ein ganzes Jahrzehnt, bis der Zweite Weltkrieg sie beendete. In den folgenden dreißig Jahren aber – dank hauptsächlich dem Kriegskeynesianismus, der eine neue große Depression verhinderte – meinten alle Ökonomen, sie hätten genug über die Geheimnisse und Prinzipien der kapitalistischen Wirtschaftsdynamik gelernt, um sagen zu dürfen, dass es keine große Krise mehr geben würde.
Die gegenwärtige Krise aber will nicht enden. Die Staatsverschuldungskrise hat die Banken- und Finanzkrise von 2008–2009 abgelöst. Griechenland steht vor dem Bankrott. Wenn es pleite geht, gehen wahrscheinlich auch Irland, Island, Portugal und Spanien pleite. In Großbritannien, Italien, den USA usw. ist die Erholung sehr schwach. In den USA ist die offizielle Arbeitslosigkeit immer noch höher als 9%. Zudem droht da wieder eine Dot-com-Blase zu entstehen. Die US-Bundesregierung kann im August dieses Jahres zahlungsunfähig werden, wenn nicht die gesetzliche Schuldenobergrenze nach oben verschoben wird. In vielen großen Privatbanken – seit kurzem selbst in der Europäischen Zentralbank – schlummern große Mengen von wertlosen Wertpapieren.
Man kennt solche Fakten. Doch was ist die Erklärung für eine solche Faktenlage? Warum ist es so schwierig, Griechenland mit noch ein paar hundert Milliarden Euro Kredit aus der Krise zu helfen. Warum tut sich der US-Kongress so schwer, die Schuldenobergrenze des Bundes nach oben zu verschieben? Warum denken die Regierenden in den oben genannten Problemländern, rabiate Sparmaßnahmen durchsetzen zu müssen, um die Schuldenlast in den Griff zu bekommen, wodurch sie ja garantiert die Erholung verhindern? Warum tut das auch die spanische Regierung, trotz der offiziellen Arbeitslosigkeitsrate von 21%? Warum schweigen momentan alle Keynesianer, wo doch 2008–2009 gerade weltweite große keynesianische Konjunkturprogramme eine neue große Depression abwenden konnten?
Hier hilft ein Blick auf Asien. Die zwei großen Wirtschaftsmächte, China und Indien, die ja stolz darauf waren, dass die schwere Krise von 2008–2009 ihnen nichts anhaben konnten, leiden jetzt an hoher Inflation, die mit ihren hohen Wachstumsraten von jährlich 8 bis 10 Prozent zusammenhängt. In beiden Ländern verursacht die Inflation Rückgang des Realeinkommens, d.h. der Kaufkraft, der Bevölkerungsmehrheit. Die Regierenden fürchten große Unruhen. In Indien gab es schon Massendemonstrationen. Darum versuchen die Regierenden der beiden Länder das Wirtschaftswachstum zu bremsen, um die Inflation zu kontrollieren. Sogar die Europäische Zentralbank hat schon signalisiert, dass sie zum selben Zweck bald den Leitzinssatz erhöhen würde.
Den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Inflation müssen wir verstehen. Solange in der Welt riesige Mengen von leicht zugänglichen und kostengünstig abbaubaren bzw. extrahierbaren Ressourcen vorhanden waren, konnte Wirtschaftswachstum problemlos vorangetrieben werden. In einer solchen Lage hing Inflation in der Regel mit übermäßigen Lohnforderungen der Arbeiterklasse zusammen. Heutzutage ist das aber kein maßgeblicher Faktor. Wie wir wissen, sinkt seit etlichen Jahren überall das Realeinkommen der abhängig arbeitenden Menschen. Heute sind der maßgebliche Grund für Inflation die seit schon einigen Jahren steigenden Preise der vom Volk und der Wirtschaft benötigten Gütern und Ressourcen: Lebensmittelpreise, Energiepreise, Preise von Industriemetallen, Preise von Kunstdüngern etc. Sogar Preise vom Metallschrott steigen. Heutzutage werden in Deutschland sogar stillgelegte Bahngleise, Stromkabel, Regenwasserrohre gestohlen. Diese Lage lässt sich mit einem Begriff zusammenfassen: die Grenzen des Wachstums, die schon sehr spürbar geworden sind. Wenn in einer solchen Lage der Staat versucht, mittels Schuldenmachen die Konjunktur anzukurbeln oder die Routine-Staatsaufgaben zu finanzieren, dann ergibt sich nur Inflation.
Dabei ist auch inzwischen, was den Wohlstand betrifft, die Aussagekraft des Bruttoinlandprodukts (BIP) als ziemlich gering erkannt worden. Es gibt schon mehrere, sogar hoch offizielle, Versuche, neue, überzeugendere Kriterien für die Messung des Wohlstands zu erarbeiten. Es wird gefordert, dass durch Naturzerstörung erzielte Erträge sowie defensive und kompensatorische Ausgaben als Kosten und nicht mehr als Einkommen gebucht werden.
Vor diesem Hintergrund muss man die zahlreichen Protest-Demos in vielen Ländern als bloße Abwehrkämpfe verstehen. So versteht man auch die zerstörerische Wut der jungen Leute in London und Athen besser. Wenn aber die Grenzen des Wachstums erreicht sind, wenn aber trotzdem eine Minderheit des Volkes versucht, immer mehr von dem Nationaleinkommen an sich zu reißen, dann kann sie das nur auf Kosten der Mehrheit tun. Die "Empörten", wie sich heutzutage die jungen Protestierenden in Europa nennen, verstehen leider diese Zusammenhänge nicht. Sie verstehen nicht, dass die Menschheit als Ganzes nicht länger "über ihre Verhältnisse", mit anderen Worten, über die Tragfähigkeit der Erde, leben kann. Ein Volk könnte das, aber nur wenn es andere Völker ausbeutet. In Indien mag die genannte Minderheit 200 Millionen stark sein, in China vielleicht 300–400 Millionen. Aber verglichen zu der Gesamtbevölkerung des jeweiligen Landes sind sie immer noch eine Minderheit.
Wenn man da auch bedenkt, dass in Indien und China kein nennenswerter Sozialstaat existiert, dass der Staat gegen die Proteste der Armen mit brutaler, oft tödlicher, Gewalt vorgeht, dann versteht man auch die gewaltsamen Kämpfe der Ausgebeuteten und Unterdrückten in diesen Ländern. In Indien schwelt seit Jahren ein bewaffneter Kampf der von den Maoisten geführten Ureinwohner gegen den Staat und Industrie- und Bergbaukonzerne. In China gibt es seit Jahren regelmäßig gewaltsame Unruhen auf dem Land. Neulich explodierten dort Autobomben vor Regierungsgebäuden, und einmal eine Benzinbombe in einer Bank.
Oft sind die Auslöser der Proteste, die Polizeibrutalität nach sich ziehen, Enteignung von Acker- oder Weideland zugunsten von Straßen- oder Industrie- oder Bergbauprojekten. Die Betroffenen sind nicht bereit, ihr Land herzugeben, selbst wenn ihnen dafür eine Entschädigung angeboten wird. Von ihrem Land können sie leben, sagen sie, nicht aber von einer einmaligen Entschädigungszahlung.
Die allgemeine Erklärung für die heutige missliche Lage in der Welt ist: die Erde kann uns nicht mehr soviel geben, wie wir von ihr haben wollen.

Freitag, 10. Juni 2011

Elefanten versus Menschen

Ich möchte heute den Lesern dieses Blogs den folgenden Text von Denis D. Gray empfehlen . Er sollte zusammen mit meinem schon erschienen Blog-Text "Pachamama und Deep Ecology" gelesen werden. Der Zusammenhang, denke ich, braucht nicht extra erklärt zu werden.

Einige essen Chili

Am Fuße des Himalaya kämpfen Bauern gegen Elefanten, deren ursprünglicher Lebensraum beinahe völlig verschwunden ist.
Wenn im indischen Dorf Jia Gabharu die Reisernte bevorsteht, bezieht eine Gruppe junger Männer jeden Abend bei Sonnenuntergang Posten und hält Ausschau nach Elefanten. Sie kommen von den Ausläufern des Himalayas. Ein fünf Kilometer langer Elektrozaun soll die grauen Riesen von den Feldern fernhalten. Außerdem sind mit Speeren, Fackeln, Gewehren und Gift bewaffnete Patrouillen unterwegs. Der Kampf zwischen Menschen und Elefanten tobt im Unionsstaat Assam seit Jahren. Tierschützer fürchten, dass die Dickhäuter ihn bald endgültig verloren haben.
Immer weniger Wald und Grasland haben die Elefanten in Assam zur Verfügung. Ihr Lebensraum schrumpft in insgesamt 13 asiatischen Staaten. In Indien und Sri Lanka, wo der Konflikt schon lange eskaliert ist, kommen jedes Jahr mehr als 250 Menschen und mehr als 400 Elefanten ums Leben. Auch aus Indonesien, Malaysia und Thailand werden regelmäßig Todesfälle auf beiden Seiten vermeldet. Zum Vergleich: Haie töten im Jahr weniger als ein Dutzend Schwimmer.
Die Dickhäuter sterben an Elektrozäunen. Sie werden mit Gewehren und vergifteten Pfeilen erschossen. Oder sie trinken Reiswein, der für sie mit Gift versetzt wurde - aus Notwehr. In der Ortschaft Galighat im Osten Assams tötete ein Elefantenbulle kürzlich binnen eines Monats fünf Menschen. Sechs Häuser wurden zerstört und Dutzende Bananenstauden abgefressen. "Wir haben die Regierung um Hilfe gebeten, aber nichts ist passiert. Wir haben alle nur möglichen Vorkehrungen getroffen. Wir haben gebetet. Aber nichts funktioniert", sagt der Dorfbewohner Mohammed Abul Ali. "Wir können nicht gemeinsam existieren."
Umweltschützer stimmen dem im Prinzip zu. Trotz mehrerer Schutzprojekte steht es schlecht um die friedliche Koexistenz. Elefanten sind mittlerweile aus 95 Prozent ihres einstigen Lebensraums verschwunden, der sich vom Mittelmeer bis zum Gelben Fluss in Nordchina erstreckte. Während in Thailand Anfang des 20. Jahrhunderts noch rund 100000 Elefanten lebten, sind es heute weniger als 6000. Die Ursachen des dramatischen Rückgangs der Populationen seien jedem Dorfbewohner geläufig, sagt Bhupendra Nath Talukdar vom "Assam Forest Department": Mit der Rodung der Wälder verlören Elefanten ihre sicheren Rückzugsorte und fänden nichts mehr zu fressen. Das treibe sie in die Dörfer, wo sie "ganz leicht besiegt" würden, wie Talukdar meit. "Es war ihr Land, und jetzt haben wir es besetzt."
So leicht ist der Kampf gegen die Tiere allerdings nicht. Sie zu töten, ist in Asien offiziell verboten, und Schutzmaßnahmen auszutüfteln eine große Herausforderung. Elefanten sind schlau und lernen schnell. Sie fallen kaum zweimal auf denselben Trick herein. Der Ranger Gopal Deka aus Jia Gabharu berichtet, dass ein Tier den um das Dorf herum errichteten Elektrozaun erst ausgiebig betrachtet und dann einfach mit dem Ast eines Bananenbaums niedergedrückt habe.
An traditionelle Abschreckungsmittel wie Feuerwerk, Trommeln oder Fackeln haben sich viele Herden schnell gewöhnt. Und manche entwickelten Appetit auf lange verschmähte Pflanzen wie Zitrusfrüchte, die bis dato in "Pufferzonen" angebaut wurden. In Bhutan wurden Elefanten beobachtet, die Orangen fraßen. In Sri Lanka ließen sich einige Chilis schmecken. Die feurigen Schoten gelten bis heute dennoch als bestes Mittel zur Verteidigung. Sie werden weiterhin als Paste, mit Schmierfett und Tabak gemischt, auf Zäune aufgetragen.
Die Elefanten werden auf der Futtersuche auch listiger. Ein Bulle habe gelernt, Tore zu öffnen und sich in Küchen und Lagerräumen zu bedienen, ohne Schäden anzurichten, berichtet ein Mitarbeiter des "Assam Haathi Projekts". Ein Quartett männlicher Tiere habe sich auf das Umstellen von Häusern verlegt: zwei vorn, einer an der Rückseite, damit die Bewohner nicht flüchten und Verstärkung holen. Der vierte bediene sich an den Vorräten. Die Beute werde später redlich geteilt.
Gewalttätige Elefanten seien in der Regel Außenseiter, betont Dinesh Choudhury, dessen Familie seit Generationen mit den Dickhäutern arbeitet: von der Herde ausgestoßene junge Bullen beispielsweise, alte Tiere mit schmerzhaften Verletzungen oder Bullen im Hormonrausch. Ganze Herden fallen nur selten in Ortschaften ein.
Früher zogen die Tiere ohne Probleme an menschlichen Siedlungen vorbei. In den vergangenen Jahrzehnten wurden mehr als 65 Prozent der Wälder am Fuß des Himalayas gerodet. Auch das Grasland ist verschwunden. Deshalb müssen die Elefanten heute durch Ortschaften und Plantagen wandern. Ihre Korridore sind von Straßen, Bahngleisen und Dämmen durchzogen. Sie geraten zwangsläufig mit den Menschen in Konflikt.
Ernstzunehmende Lösungsansätze gibt es nicht, sagt Hiten Kumar Baishya vom WWF. "Politiker haben kein Interesse an Wildtieren. Sie sind ihnen nur lästig. Wildtiere wählen nicht." Es gebe deshalb wohl keine Chance, auch nur ein Prozent der zerstörten Wälder wieder aufzuforsten. "Wir können nicht einmal das schützen, was wir haben."
Dinesh Choudhury ist ähnlich pessimistisch. "Das Schicksal der Assam-Elefanten? Wir werden nur ihre Gräber sehen, sonst nichts."
Denis D. Gray/AP, Junge Welt 26.05.2011

Freitag, 27. Mai 2011

Kongress "Jenseits des Wachstums!?" --
Eindrücke und Gedanken

Unterwegs zum von Attac-Deutschland organisierten Kongress "Jenseits des Wachstums!?" in Berlin, wo ich an einer Podiumsdiskussion teilnahm, las ich einen Bericht in der SZ (20.5.11) über Protestaktionen in Spanien, die stark den Aktionen der ägyptischen Demokratiebewegung ähnelten. Der Kongress war schon seit etwa einem Jahr in Vorbereitung. Der Anlass dafür war die globale, vielseitige Finanz- und Wirtschaftskrise und die große Ökologiekrise mit der Klimakrise als der Spitze des Eisbergs. Aber auch die großen, teils gewalttätigen, Proteste in Athen und London wirkten als ein Hintergrund. Die Protestaktionen in Spanien, besonders die in Madrid, kamen jetzt dazu.
Der Untertitel des Kongresses lautete "Ökologische Gerechtigkeit, Soziale Rechte, Gutes Leben". Ich bekam nicht den Eindruck, dass sich die Kongressteilnehmer, inklusive der Organisatoren und der Referenten, des Widerspruchspotentials zwischen den im Titel und Untertitel benutzten Begriffen bewusst waren. Denn es stellt sich die Frage, ob die sozialen Rechte, die bis vor dem Ausbruch der gegenwärtigen Krise in Westeuropa gültig waren, und das heutige westeuropäische Verständnis eines guten Lebens ohne weiteres mit dem Prinzip der ökologischer Gerechtigkeit vereinbar sind? Die Frage wurde aber auf dem Kongress gar nicht gestellt.
Der SZ-Reporter schreibt aus Madrid: es sind "gut bis exzellent ausgebildete Kinder des Bürgertums, 20-, 30-jährige Männer und Frauen…, die die Perspektivlosigkeit, die beruflichen Warteschleifen namens Praktika, die schlecht bezahlten Jobs, die unsicheren Renten" usw. beklagten. Er berichtet: "Viele der jungen Leute mit Hochschuldiplom fühlen sich mit ihren 600-Euro-Jobs längst als Sklaven. … Fast jeder zweite junge Spanier ist ohne Job." Eine solche Lage stellt die totale Negation des Traums eines guten Lebens dar, den die jungen Spanier in Madrid, aber auch junge Griechen, Briten und Deutsche, hegen.
Auf dem Kongress aber erzählte uns Frau Martinez aus Ecuador, dass dort sowohl die Regierung als auch die Mehrheit des Volkes ein im Regenwaldgebiet neu entdecktes Ölfeld nicht ausbeuten wollen –. um den Regenwald zu schützen und zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes beizutragen. Wenn aber dieses Ölreichtum unausgebeutet einfach tief im Boden liegen bleibt, frustriert das natürlich viele exzellent ausgebildete, aber arbeitslose, junge Ecuadorianer. Die Idee der Regierung, dass der reiche Westen im Namen der ökologischen Gerechtigkeit Ecuador für diesen Verzicht finanziell kompensieren soll, war von Anfang an illusorisch. Würde der Westen diese Forderung (und andere ähnliche) erfüllen, hätte er noch weniger Mittel für die Erfüllung der Träume der Jugend in Madrid, Athen und London.
Die Formulierung "jenseits des Wachstums" ist ziemlich vage. Es klingt, als bestünde ein Konsens darüber, dass es Grenzen des Wachstums gibt und dass diese schon erreicht oder gar überschritten sind. So einfach war es aber auf dem Kongress nicht. Auf den Veranstaltungen, bei denen ich anwesend war, wurde häufig die Meinung vertreten, dass es möglich sei, dank weiterem, umweltfreundlichem technologischem Fortschritt diese Grenzen nach oben zu verschieben. Oder man sagte, während einige Branchen schrumpfen müssten, müssten andere wachsen. Zur Begründung wurde zum einen die Überzeugung geäußert, dass durch Effizienzsteigerung Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden könne, so dass während die Wirtschaft weiterhin wachse, der absolute Ressourcenverbrauch sinke. Zum anderen ging man fest davon aus, dass in drei bis vier Jahrzehnten der gesamte Energiebedarf Deutschlands, gar der Welt, durch erneuerbare Energien gedeckt werden würde.
Um solche illusorischen Glaubensbekenntnisse zu hören, hätte man nicht zu diesem Kongress fahren müssen. Man hört und liest so was fast jeden zweiten Tag – besonders von Parteien, aber auch von großen Umweltverbänden. Der Haupttitel des Kongresses aber ließ einen denken, dass man da nach einer neuen, einer anderen Wirtschaftsform oder -richtung suchen will, weil weiteres Wirtschaftswachstum unmöglich geworden ist – nicht zuletzt wegen seiner hohen ökologischen Kosten –, weil gar eine Schrumpfung absolut notwendig geworden ist. Diese letzte Meinung wurde zwar auch von zwei Referenten geäußert. Aber ich bekam nicht den Eindruck, dass sie ernst genommen wurde.
Der Kongress litt an einer Schwäche: nämlich, er wurde von etablierten partei- und gewerkschaftsnahen Stiftungen gesponsert. Deren Vertreter sowie Vertreter von großen, etablierten Umweltorganisationen mussten halt die Positionen ihrer Partei bzw. Organisation vertreten. Diese glauben bekanntlich immer noch fest an die Möglichkeit eines nachhaltigen Wachstums. Ralf Füchs von der Grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung meinte sogar, es würde bis 2050 möglich sein, dass die 9 Milliarden Menschen, die dann in der Welt leben würden, etwa den gleichen, aber bis dahin nachhaltigen, Wohlstand genießen würden wie die Westler. Ich halte eine solche Hoffnung für lächerlich und auch gefährlich.
Bei solchen hoch optimistischen Zukunftsszenarien erübrigt sich natürlich die Frage, ob eine Überwindung des Kapitalismus notwendig ist. Zwei Referenten, die für eine Schrumpfung der hoch entwickelten Wirtschaften plädierten, bzw. sie für unvermeidlich hielten, meinten, für einen solchen Prozess sei eine Art Sozialismus notwendig. Viele thematisierten die Frage gar nicht, viele wichen ihr aus. Einige andere redeten einer "solidarischen Ökonomie" das Wort, wobei unklar bleibt, ob eine solche Ökonomie nur ein Sektor innerhalb einer kapitalistischen Volkswirtschaft sein soll oder mehr.
Der Madrider SZ-Reporter zitiert aus einem Plakat: "Wenn ihr uns nicht träumen lässt, bringen wir euch um den Schlaf." Aber die herrschende Klasse und ihre Parteien brauchen keine Angst zu haben. Denn "die Empörten", wie sich die Demonstranten dort nennen, sind nur empört, sie sind keine Systemveränderer. Auf einem anderen Plakat steht: "Wir sind keine Systemfeinde – das System ist uns gegenüber feindlich." So ist es, leider.

Montag, 23. Mai 2011

Pachamama und "Deep Ecology"

Politische Entwicklungen in Bolivien habe ich schon in zwei meiner Blog-Texte thematisiert. Das Land ist zurzeit nicht nur für die Linken interessant – d.h. nicht nur wegen der Bemühungen der derzeitigen Führung, dort einen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" aufzubauen – sondern auch für Umweltschützer, weil seine mehrheitlich indianische Führung ein ziemlich ungewöhnliches Verständnis der Ökologieproblematik zu haben scheint.
Evo Morales und seine Genossen haben den alten Pachamama-Kult der Hochland-Indianer wieder belebt und zu einem Politikum entwickelt. Es gibt in Bolivien seit einiger Zeit ein "Gesetz der Mutter Erde". Für die Aymara und Quetschua ist die Mutter Erde eine, "Pachamama" genannte, Göttin, der das Leben entspringt. In dem Gesetz, das auch ein Teil der Verfassung ist, werden Mensch und Natur gleichgestellt. Nach Morales "sind die Rechte der Mutter Erde sogar wichtiger als die Menschenrechte" (zit. nach Peter Burghardt, SZ., 27.04.2011). Dieses Gesetz und diese Worte von Morales haben zunächst wohl nur einen symbolischen Wert. Sie symbolisieren die Absicht seiner Partei "Bewegung zum Sozialismus", einem ökologischen Sozialismus Bahn zu brechen.
Auch andere Leute und Parteien hatten sehr viel früher als Morales und seine Genossen den Begriff ökologischen Sozialismus (oder Ökosozialismus) auf ihre Fahne geschrieben. Ich erinnere mich dabei an einen 1982 in Bielefeld von diversen Linken, Grünen und Ökos abgehaltenen Kongress über das Thema Umwelt und Arbeit. Ich erinnere mich an einen Kongress der SPD in den 1980er Jahren und an mehrere in Deutschland veröffentlichte Bücher über dieses Thema. Doch da war nichts ernst gemeint. Was sie alle meinten, war nur etwas mehr Umweltschutz im gegebenen Rahmen einer hoch entwickelten Industriegesellschaft: Wachstum sollte nachhaltiges Wachstum sein. Für richtige Linke sollte diese Industriegesellschaft und diese Art von Wachstum eine sozialistische Prägung haben. Um die Idee den von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen schmackhaft zu machen, wurde immer wieder behauptet, Umweltschutz würde Tausende von neuen Arbeitsplätzen schaffen. Das war alles. Keine Rede von der Gleichstellung von Mensch und Natur, von gleichen Rechten für beide.
Wenn aber die bolivianische Führung die oben zitierte Aussage von Morales ernst meint, wenn sie die sich selbst gestellte Aufgabe ernst nimmt, die Natur vor der Zivilisation zu schützen, dann müsste sie darauf drängen, dass sich die Menschheit von weiten Teilen der zurzeit von ihr fast total besetzten Erde zurückzieht, sie wieder zur Wildnis werden lässt, große Areale von Wäldern, Savannen, Flüssen, Sumpfgebieten usw. so lässt, wie sie momentan sind, ihre eigene Zahl erheblich reduziert und, im Allgemeinen, alle Arten von Wirtschaftswachstum stoppt. Sie müsste der Menschheit knallhart sagen, dass die Erde nicht allein für Menschen da ist, dass auch die anderen Arten – Pflanzen und Tiere, sogar Insekten – Kinder der Pachamama sind, dass auch sie ein Recht auf genügenden Lebensraum haben.
Eigentlich ist dieser letzte Gedanke in den Zielformulierungen Artenschutz und Erhalt der Biodiversität enthalten. Doch wie schlecht es zurzeit mit diesen Zielen bestellt ist, brauche ich meinen Lesern nicht zu erzählen. Schuld daran sind, allgemein gesagt, die wachsende Population unserer eigenen Spezies und unsere wachsenden Wirtschaften. Diese zwei Faktoren sind es, die es notwendig machen, dass wir Menschen immer größere Teile der Erdoberfläche für uns erobern. Zwar läuft dieser Prozess seit dem Neolithikum, seit Beginn der Industriellen Revolution aber hat er sich sehr beschleunigt. Schon in den 1960er Jahren drehte ein Naturfreund einen Film, dem er den Titel gab "No Room for Wild Animals" (kein Raum für wilde Tiere).
Aber gerade die Linken – zumindest die große Mehrzahl von ihnen, die ja mit der bolivianischen Führung sympathisieren – wollen nichts von all dem hören. Den Begriff Wirtschaftswachstum haben sie nur durch taktisch kluge und wohl klingende Begriffe ersetzt: nachhaltiges Wachstum, qualitatives Wachstum, selektives Wachstum, grünes New Deal usw. Und Leute, die die Anzahl von Menschen auf der Erde für zu hoch halten, werden von ihnen pauschal als Rechte beschimpft. Vor etwa drei Monaten hatte ich mit einem alten linken Freund ein Gespräch über dieses Thema. Er meinte, die Weltbevölkerung werde bis 2050 bei 9 Milliarden peaken (d.h. aufhören, weiter zu wachsen), und diese Anzahl von Menschen könnten problemlos ernährt/versorgt werden. Die Frage, wie viel Lebensraum dann noch für andere Arten übrig bliebe, konnte ich nicht stellen. Der Freund musste gleich gehen. Keine Zeit für politisch unkorrekte Fragen.
Eigentlich sind Rechte der Natur und nichtmenschlichen Lebens keine Erfindung der bolivianischen Führung. Auf der Grundlage der jahrzehntelangen Naturschutzbewegung in Europa und den USA formulierten in den 1980er Jahren Denker wie Arne Naess, Bill Devall und George Sessions eine philosophische Position, die sie Deep Ecology (Tiefenökologie) nannten. Das erste und wichtigste der acht Grundprinzipien ihrer "Tiefenökologie-Plattform" lautet: "Das Wohlbefinden und Blühen des menschlichen und nichtmenschlichen Lebens auf der Erde haben einen Wert aus sich selbst heraus (intrinsischen, inhärenten Wert). Diese Werte sind unabhängig von der Nützlichkeit der nichtmenschlichen Welt für menschliche Zwecke."
Die Tiefenökologen unterscheiden zwischen ihrer Position und der der großen Mehrheit der Umweltschützer, die sagen, der Mensch brauche Umweltschutz, der auch wirtschaftlich nützlich sei, weil dadurch viele Arbeitsplätze bei der Umweltschutztechnologie geschaffen werden könnte. Diese Haltung nennen sie shallow ecology (seichte Ökologie).
Morales und seine Genossen wussten wohl kaum etwas von deep ecology. Diese Ökophilosophie ist sogar in den intellektuellen Kreisen Deutschlands relativ unbekannt. Es ist ein großes Verdienst der Bolivianer, dass sie ihre Kombination von Tiefenökologie und Sozialismus (ihre Version des Ökosozialismus) in unser Bewusstsein gerückt haben. Ich wünsche ihnen auch in der Praxis viel Erfolg und den Mut, den vielen Widerständen zu trotzen.

Sonntag, 17. April 2011

Atomstrom abschalten --
Und wie soll es dann weitergehen?

Ein paar Tage nach dem GAU im AKW-Fukushima gab es in Köln eine erste Anti-Atomkraft-Demo, deren Hauptslogan lautete "alle AKWs abschalten, sofort und weltweit". Als ich ihn hörte, fiel mir ein, dass die Franzosen 80% ihres Stroms von AKWs bekommen. Es fiel mir auch ein, dass in Indien, meiner Heimat, schon 20 AKWs im Betrieb sind und dass die Regierung denkt, sie müsse noch mehr davon bauen, um die etwa 50 Prozent der Bürger, die ohne Strom leben, Zugang zum Stromnetz zu ermöglichen. Was würde geschehen, wenn die genannte Forderung der Kölner Demonstranten akzeptiert und alle AKWs weltweit und sofort abgeschaltet würden?
In Frankreich würden die Lichter zweifelsohne ausgehen. In Indien wird das keinen großen Schock auslosen. Die Hälfte der Inder leben ja sowieso ohne Strom, und die anderen sind es gewohnt, mit häufigen Stromausfällen zu leben. In Frankreich würde aber noch viel Schlimmeres geschehen. Die unzähligen Betriebe, die ihren Strom aus AKWs beziehen, würden den Laden dichtmachen. Millionen Menschen würden ihre Arbeit und Einkommen verlieren. Indien wird die Sache nicht so hart treffen. Da kommt ja der größte Teil des Stroms von Klima-killenden Kohlekraftwerken.
Na gut, nicht alle Atomkraftgegner sind so superradikal wie die genannten Kölner. Die meisten fordern einen möglichst schnellen, aber allmählichen Ausstieg, damit ein möglichst schmerzloser Übergang zur atomstromfreien Energieversorgung möglich wäre. Ich höre, in Deutschland, wo der Anteil des Atomstroms an der gesamten Stromverbrauch nur 23% beträgt, würde das keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten. Zudem gibt es hier etwas Überkapazität. Aber sofort oder allmählich, so die Forderung der Wirtschaft, Ersatz für den fehlenden Atomstrom müsse bereitgestellt werden, und der darf nicht zu teuer sein. Ist das möglich? Hier beginnen die Probleme.
Kein Atomstromgegner schlägt Bau von mehr Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerken vor. Übergang zum Zeitalter der erneuerbaren Energien sei der Königsweg. Diese seien nicht nur unerschöpflich, sondern stünden in technischer Hinsicht schon zur Verfügung. Sie würden den Ausstieg aus der Atomkraft ermöglichen sowie die Erderwärmung stoppen. Man dürfe nicht warten, bis die fossilen Energieträger zur Neige gehen. Man könne den Übergang schon jetzt beginnen. Selbst Scheikh Jamani, Ölminister Saudi Arabiens in den 1970er Jahren, sagte einmal: "Die Steinzeit ging nicht zu Ende, weil Steine knapp geworden waren. Und das Ölzeitalter wird zu Ende gehen, bevor die Ölquellen erschöpft sind." Was den Übergang noch attraktiver mache, sei die Tatsache, dass "die Sonne uns keine Rechnung schickt" (Franz Alt), und, wie der selige Hermann Scheer, schrieb: "Unvorstellbare Zeiträume sind es also, in denen die Sonne Menschen, Tieren und Pflanzen ihre Energie spenden wird. Und das in derart verschwenderischer Weise, dass sie die üppigsten Energiebedürfnisse sogar einer sich noch drastisch vermehrenden Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt befriedigen könnte: Jährlich liefert die Sonne 15.000mal mehr Energie, als die Weltbevölkerung kommerziell verbraucht … ."
Meine Zweifel an solchen Hoffnungen habe ich ausführlich in meinen zwei Büchern dargelegt: Die nachhaltige Gesellschaft (2001) und Die Krisen des Kapitalismus (2009). Und ich befinde mich auch in wissenschaftlich berühmter (allerdings einer kleinen) Gesellschaft. James Lovelock, namhafter Chemiker und Vater der Gaia-Theorie, verlor seine Hoffnung auf erneuerbare Energien (er hatte es selbst mit Windkraft versucht). Der selige Wirtschaftswissenschaftler und Mathematiker Nicholas Georgescu-Roegen machte eine Untersuchung über den Solarstrom und kam zum Schluss: Solarstrom ist zwar machbar, nicht aber lebensfähig. Er schrieb, zur Zeit des Schreibens brauchten Solarstrom-Technologien mehr Energie zur Gewinnung und Herstellung aller dazu nötigen Materialien, Apparaturen und Industrien, als sie in ihrer gesamten Lebensdauer produzierten. Kurz, sie hätten eine negative Energiebilanz, seien also nicht lebensfähig. Der Grund dafür sah er in der geringen Energiedichte der Sonnenstrahlung, einer kosmologischen Konstanz. Georgescu-Roegen schrieb das 1978 und wiederholte seine These 1986 und 1992. Diese These ist von Solarstrom-Enthusiasten verworfen worden. Das ist eine alte Geschichte. Aber auch vor kurzem las ich in einem Leitartikel in der SZ: "Die Hoffnung, die Welt könnte schnell mit alternativen Energien versorgt werden und zur Stromgewinnung mal eben die Sonne anzapfen, ist naiv. … eine Formel zur schnellen und schmerzfreien globalen Energiewende gibt es nicht" (Karl-Heinz Büschemann, SZ, 19.3.2011). Mit oder ohne Energiewende, der Schmerz wird auf lange Sicht sehr groß sein, nämlich, das Ende unserer geliebten Industriezivilisation.
Die Kontroverse ist noch nicht entschieden. Einerseits geht die technologische Forschung und Entwicklung weiter; die Hoffnung stirbt ja zuletzt. Andererseits brauchen alle erneuerbaren Energien in Stromform – außer Wasserkraft – immer noch Subventionen in vielfältiger Form, um rentabel zu sein, sogar die Windkraft, die anscheinend eine leicht positive Energiebilanz aufweist. Diese Subventionen kommen von den Erträgen der Gesamtwirtschaft, die ja größtenteils mit fossiler und atomarer Energie getrieben wird. Die erneuerbaren sind also immer noch Parasiten der konventionellen Energien.
Die Kontroverse wird wohl in den nächsten zehn Jahren entschieden sein. Die gegenwärtige Lage aber macht mich sehr skeptisch. Indien ist ein sehr sonnen- und windreiches Land. Trotzdem sehen die Inder ihre Energiezukunft eher in Atomkraft und der Suche nach fossilen Energieträgern. Warum wohl? Ein anderer Grund für meine Skepsis ist das Ausbleiben einer überzeugenden Speichertechnik. Wenn sporadisch fließende erneuerbare Energien z.B. in Form flüssigen Wasserstoffs gespeichert werden sollen, dann gehen gut 90% der ursprünglichen Energieernte im Verwandlungsprozess verloren.
Vor dem Hintergrund der drohenden Verschärfung der Klimakrise und angesichts seiner Enttäuschung mit erneuerbaren Energien plädierte Lovelock für den Bau von mehr AKWs – mit der Begründung, dass wir den nächsten Generationen den Genuss eines Lebensstandards nicht verhindern dürfen, den wir noch genießen. Er hielt die Restrisiken für tragbar. Aber offensichtlich fiel ihm nicht ein, dass auch Uran eine nichterneuerbare Ressource ist.
Für diejenigen von uns, die die oben genannten Fakten und Zweifel nicht ignorieren wollen, ist es ratsam, uns allmählich auf eine andere, karge, Zivilisation vorzubereiten. Von Saudi Arabien kommt ein sehr sinnreicher Spruch: "Mein Großvater ritt ein Kamel; mein Vater fuhr ein Auto, ich fliege ein Privatjet; mein Sohn wird ein Kamel reiten."
Den Weg zu einer solchen neuen Zivilisation könnten wir am besten beschreiten, wenn wir vorher eine egalitäre Gesellschaft geschaffen hätten.